Und James Bond brachte die Cola

Die Überwindung der postsozialistischen Lähmung: Das Balkan-Black-Box-Festival zeigt Filme, die mit Blick für absurde Details Klischees unterlaufen

Im hyperpolitisierten Bosnien-Herzegowina ist am Ende selbst noch entscheidend, in welche Richtung Bruce Lee guckt

VON JOCHEN SCHMIDT

Zur Eröffnung des diesjährigen Balkan-Black-Box-Festivals am vergangenen Freitag wurde gleich mal wieder deutlich, wie schwer es für Künstler vom Balkan ist, im Westen anzukommen, ohne dem Bild zu entsprechen, das man hier von ihnen hat: Der bulgarische Akkordeonist Martin Lubenow spielte im restlos gefüllten Babylon-Kino, und während er auf dem Plakat noch idealtypisch als beleibter, zum Tanz aufspielender Balkanier posiert hatte – flankiert von einer alten Zigeunerin, wie man sie aus Kusturica-Filmen kennt –, blieb er beim Konzert dann aber mit jazzigen Arrangements fern jeder Zigeunerromantik.

Die Klischees zu unterlaufen, das versucht man bei Balkan Black Box in diesem Jahr mit einer kaum zu überblickenden Masse an Festivalfilmen, Diskussionsrunden, Ausstellungen, Lesungen und Konzerten. Wie immer gibt es einen Regionalschwerpunkt, diesmal den Kosovo. Dabei weiß ja eigentlich sowieso niemand genau, was der Balkan nun sein soll. Wie bei anderen Geisteswissenschaften scheint auch bei der Balkanologie die Hauptschwierigkeit zu sein, den Forschungsgegenstand überhaupt zu definieren. Europa will jeder sein, aber Balkan? Dabei sind beide nicht voneinander zu trennen, der Balkan ist ja eine Projektion Europas, das sich seit dem 19. Jahrhundert als das aufgeklärte Gegenteil dieser rückständigen, zersplitterten, gewalttätigen Region inszenieren konnte.

Obwohl der Balkan also nicht einfach Balkan sein will, handeln viele Filme im Programm des Balkan-Black-Box-Festivals von ähnlichen Erfahrungen, ob sie nun aus Rumänien kommen oder aus Montenegro. Oft geht es ums Auswandern (wie im frisch in Cottbus beim Festival des osteuropäischen Films prämierten serbischen Beitrag „Tomorrow Morning“), ums Zeittotschlagen, um sinnlose Gewalt. Selbst der bereits ’05 in Cottbus ausgezeichnete slowenische Film „Gravehopping“, der als schwarze Komödie über einen Begräbnisredner beginnt, kippt gegen Ende in eine brutale Vergewaltigung und Rachemorde. Das wirkt zwar ziemlich unmotiviert, zeigt aber, dass dem Zuschauer nicht einfach der Schwejk gegeben werden soll. Wundervoll dagegen der im letzten Jahr in Cannes gezeigte „The Death of Mr. Lazarescu“ des jungen rumänischen Regisseurs Cristi Puiu – ein echtes Talent, dessen Filme nicht nur als Studienobjekte für an der Region Interessierte taugen. Puiu hat den fast schon tarantinoesken Blick für die absurden Details, die momentan das Leben der Rumänen prägen. Seine traurige Komik kommt aus genauer Beobachtung und braucht keine krampfhafte symbolische Überhöhung.

Ganz ähnlich „Totally Personal“ von Nedzad Begovic, eine begeisternd unaufdringliche und witzige Doku über die Entstehung einer Doku, die das Leben des bosnischen Regisseurs erzählen soll. Der Film, der im vergangenen Jahr für den Oscar als bester nicht-englischsprachiger Film nominiert war, sprüht vom für Sarajevo typischen Galgenhumor („Die einzige Stadt weltweit, in der einmal zwei Straßenbahnen einen Frontalunfall hatten“). Wie „Andrej Rubljow“ von Tarkowski wolle er mit diesem Film „seine Glocke“ machen, sagt der Regisseur und beginnt dann damit, dass seine Eltern den ersten Fernseher im Block hatten und sie als Kinder immer „Reis“ geguckt haben, also weißes Rauschen. Einmal habe einer der Ansagerin auf dem Bildschirm seinen Arsch gezeigt, und alle seien schnell rausgerannt. Aber mitten im Film hat Begovic keine Lust mehr auf diese Art von Autobiografie und fängt noch einmal von vorn an, indem er seine Lieblingstheorien präsentiert, etwa dass man mit langen Fingernägeln schneller schwimmen könne. Vom Krieg bleiben bei ihm nur Details, wie etwa, dass 1992 am Hauptpostamt ein Graffito stand: „Das ist Serbien!“, und jemand daneben schrieb: „Idiot, das ist die Post.“

Vom Witz, den man als Waffe gegen die bedrückenden Umstände entwickelt, erzählt auch „Enter the dragon“, eine Dokumentation über den Bau des weltweit ersten Bruce-Lee-Denkmals in Mostar im Herbst 2005. „Ein Land, in das sie einen ehemaligen Berufssoldaten schicken, um den Menschen Demokratie beizubringen, braucht ein Bruce-Lee-Monument“, sagen die Initiatoren. Man hatte nach einem Heldensymbol gesucht, das alle Generationen verstehen. Bei Bruce Lee müsse man sich nicht fragen, zu wem seine Familie in welcher Epoche gehalten habe, er stehe „für alle, die einen kleinen Drachen in sich haben, der nur einen kleinen Schubs braucht, um zu rennen und zu kämpfen“. Aber in einem hyperpolitisierten Land wie Bosnien-Herzegowina ist am Ende selbst die Frage entscheidend, in welche Richtung Bruce Lee guckt, damit sich niemand angegriffen fühlt.

Um Getränke geht es in „A Cold Coke in the Days of the Cold War“, einer Dokumentation aus Bulgarien. Sie schildert die Hintergründe der Errichtung der ersten Coca-Cola-Fabrik im sozialistischen Lager in den 60ern. Damals durfte man sich als mit dem Osten Handel treibender Manager noch ein bisschen fühlen wie James Bond, derweil verbreitete die bulgarische Propaganda, Coca-Cola sei ein alkoholischer Kriegstrunk amerikanischer Soldaten. Der Film zeigt, wie es die Brause trotzdem nach Bulgarien schaffte und wie dann, weil Moskau Pepsi bevorzugte, alles anders kam. Eine Andeutung davon, wie viel bisher nicht Erzähltes aus diesem Land und dieser Region noch zu erwarten ist, wenn die postsozialistischen Lähmung einmal überwunden ist.

Es dürfte also auch in Zukunft noch genug Programm für Balkan Black Box geben. Es ist jedenfalls ein Festival, das eine Stadt wie Berlin, die von den Bevölkerungsanteilen her ja selbst fast auf dem Balkan liegt, gut gebrauchen kann.

Filmprogramm noch bis zum 25. 11., Abschlussparty mit Lira Vega (Belgrad), 25. 11., 21 Uhr, Roadrunner’s Paradise. www.balkanblackbox.de