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Archiv-Artikel

„Schimpfen nützt in China nichts“

Der deutsche Kameramann Lutz Reitemeier hat mit dem chinesischen Regisseur Wang Quan’an den Wettbewerbsfilm „Tuyas Ehe“ gedreht. Im Interview erzählt er von absurden Materialschlachten am Set und seiner Rolle als Know-how-Vermittler

INTERVIEW SUSANNE MESSMER

taz: Herr Reitemeier, ein deutscher Kameramann dreht in einem chinesischen Team mit mongolischen Laiendarstellern einen Film – sind das nicht ein wenig viele Kulturschocks auf einmal?

Lutz Reitemeier: Es stimmt schon, dass dabei immer wieder absurde Situationen entstehen, mit denen man überhaupt nicht rechnet. Aber zum Glück habe ich einen Mitarbeiter aus Deutschland, der bis jetzt bei allen meinen China-Filmen als Oberbeleuchter dabei war. Es ist wichtig, dass man in der Fremde eine Vertrauensperson dabei hat, mit der man auch mal gemeinsam lachen kann.

Was reizt Sie an China?

Die Gegensätze. Die Glaspaläste und die Wanderarbeiter. Die Metropolen und das bitterarme Land. Der perlmuttgraue Himmel und die roten Schriftzeichen. Und dass die Leute dort so viel Kraft haben. Viele sind wie die Hauptfigur Tuya aus unserem neuen Film. Sie sind auf eine phantastische Art eigensinnig.

Wie kommunizieren Sie, wenn Sie in China drehen, mit dem Regisseur, den Darstellern, dem gesamten Team?

Ich spreche kein Chinesisch, wir haben aber immer sehr gute Übersetzer vor Ort, die ich mir im Vorfeld selbst aussuche. Das sind meistens Studenten, die Englisch nicht in der Schule, sondern über untertitelte Hollywood-Filme gelernt haben und sich sehr in die westliche Kultur hineinträumen. Das meine ich durchaus positiv!

Und das funktioniert?

Bei meinem ersten Spielfilm mit Wang Quan’an war ich noch sehr aufgeregt und hatte Angst, dass ich komplett scheitern würde. An deutschen Filmsets wird viel besprochen. Erst in China habe ich gemerkt, dass das gar nicht nötig ist. Und dass Filmsprache viel universeller ist, als man denkt. Wang Quan’an arbeitet sehr dokumentarisch, sehr viel mit Laiendarstellern. Man kann also weniger planen als bei einer Spielfilmproduktion.

Sie meinen, sonst sind chinesische Spielfilmproduktionen besser durchgeplant?

Überhaupt nicht. Anders als in Deutschland gibt es fast keine Dispo. Man muss sich einfach fallen lassen und akzeptieren, dass man manchmal erst spät abends erfährt, wie es am nächsten Morgen weitergeht und dass man manchmal auch nur indirekt von Änderungen erfährt.

Das klingt nach Stress.

Andererseits gibt es einem viel Freiheit. Wenn bei einem Dreh in China etwas schiefläuft, ist das kein so großes Problem wie vielleicht in Deutschland, wo jeder weitere Drehtag eine finanzielle Katastrophe ist.

Filme zu drehen ist in China als günstiger?

Die Löhne in China sind ja sehr niedrig. Also können chinesische Produktionen ganz anders mit der Ressource Arbeitskraft umgehen. Die Teams sind riesig. Überhaupt empfinde ich das ganze chinesische Filmwesen noch immer als sehr sozialistisch. Da müssen zum Beispiel morgens alle Busse eine Stunde warmlaufen – CO2-Ausstoß hin oder her. Dann kommen die Chauffeure, dann kommt nach und nach das Team, und nach einer weiteren halben Stunde bis Stunde kommt der Regisseur und es kann endlich losgehen. Es müssen auch immer alle Busse mit dem gesamten Equipment und dem vollständigen Team mitfahren. Dabei ist es ganz egal, ob es an diesem Tag womöglich nur um eine Landschaftsaufnahme geht.

Meckern Sie da auch schon mal?

Schimpfen darf man in China nicht. Aber hin und wieder habe ich schon etwas gesagt. Geändert hat es allerdings selten etwas.

China ist ein Filmland, es gibt dort viele gute einheimische Kameraleute, und auch im Bereich des Dokumentarfilms ist in China seit den 90er-Jahren viel passiert. Setzt Sie das als Fremder nicht unter Leistungsdruck?

Der Dokumentarfilm ist in China noch nicht so alt wie im Westen, und es gibt nicht sehr viele Kameraleute wie mich, die sowohl Dokumentarfilme drehen können als auch Spielfilme. Auch das Cinema direct oder das Cinéma vérité ist erst in den letzten zehn, 15 Jahren in China entdeckt worden. Deshalb sind die Filmemacher dort noch sehr auf der Suche. Wang Quan’an wird sich etwas dabei gedacht haben, mit mir arbeiten zu wollen. Ich fand es auch beruhigend, dass er auf mich zukam, ich mich also, um in China arbeiten zu können, niemandem aufdrängen musste.

Warum, glauben Sie, hat sich Wang Quan’an für Sie entschieden?

Ich komme vom Dokumentarfilm her, und obwohl ich im Alltag eher schüchtern bin, habe ich beim Drehen wenig Scheu, mit der Kamera nah an Menschen heranzutreten. Die Kamera ist für mich wie ein Schutzschild. Außerdem geht es wohl auch um einen Technologie- und Know-how-Transfer. Es ist schon oft passiert, dass es ein chinesischer Film nicht durch die Zensur geschafft hat, wenn die technische Qualität nicht stimmte – eine einfach Begründung, die es einem erspart, über Inhalte reden zu müssen. Ich vermute, dass das auch ein Grund dafür war, warum Wang Quan’an mit mir arbeiten wollte und weiterhin mit mir arbeiten will. Aber so richtig offen ausgesprochen wurde das nie. Wie so vieles in China.

„Tuyas Ehe“. R.: Wang Quan’an. China 2006, 96 Min.; 18. 2.; 9.30 Uhr, Urania