Kuckuckskinder sind die Ausnahme

Bei Väteraktivisten löst das Karlsruher Urteil gemischte Gefühle aus, alleinerziehende Mütter begrüßen es

BERLIN taz ■ Sie sind eine kleine Schar für ein so großes Anliegen. Die zehn Männer spazieren im Nieselregen die Berliner Friedrichstraße entlang. Sie stemmen Leinwände in die Höhe und schwenken rote Pappschilder. „Kinder mögen echte Väter“ ist da zu lesen und „Rote Karte für ein Testverbot“. Ein Mann balanciert einen Packen ungenutzter Protestplakate auf dem Fahrradgepäckträger – es fehlt an Mitstreitern, die sie ausrollen und durch die Straßen tragen könnten. „Wo stecken die? Arbeiten die? Ist das Wetter zu schlecht? Ich verstehe das nicht, wir vertreten doch die Interessen von Zehntausenden“, sagt Matthias Wellmann vom Verein Väteraufbruch für Kinder.

Die Organisation hatte anlässlich des Karlsruher Urteils zur Demo geladen: Inmitten von Touristen und vorbeieilenden Büromenschen wollten die Männer für etwas eintreten, das Wellmann „das Recht auf Gewissheit“ nennt. „Ich bin von dem Urteil enttäuscht. Das Selbstbestimmungsrecht des Vaters sollte größeres Gewicht bekommen.“

Die Diskussion um heimliche Vaterschaftstests kreist um einen Interessenkonflikt. Auf der einen Seite steht der Wunsch vieler Männer, nicht für ein Kind aufkommen zu müssen, das sie gar nicht gezeugt haben. Auf der anderen Seite steht die Frage, ob nicht die soziale Bindung zum Kind wichtiger ist als die biologische. Und ob nicht mancher Mann besser mit Zweifeln lebt als mit der Gewissheit, dass das geliebte Kind gar nicht seine Gene in sich trägt. Wie das Dilemma gelöst werden sollte, ist auch innerhalb der Väterorganisationen umstritten. Karl Schulze (Name geändert) etwa begrüßt den Richterspruch. „Der Gesetzgeber muss jetzt die Hürden herabsetzen, um eine Vaterschaft vor Gericht anzufechten. Das finde ich gut“, sagt der Väteraufbruch-Aktive, der mit Flugblättern zur Minidemo gekommen ist. Schulze hat selbst eine Zeit der Zweifel durchlebt. Seine Ehe scheiterte, als das Kind ein Jahr alt war. „Das war wie in einer billigen Vorabendserie. Außer mir wussten alle, dass meine Frau schon lange ein Verhältnis hatte.“ Als Schulze dann in der U-Bahn die Werbung eines Labors sah, entschied er sich für den Test. „Natürlich hing ich an dem Jungen. Aber der Streit um das Sorge- und Umgangsrecht war so hart – da wollte ich wissen, ob ich wirklich der Vater bin. Sonst hätte ich einen radikalen Schnitt gemacht.“

Zehn Tage und eine Laborprobe später wusste Schulze: Er ist der biologische Vater. Das ist auch der Grund, warum er seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Sein Sohn soll nichts von den Zweifeln erfahren. „Deshalb kann ich nicht verstehen, warum Frau Zypries heimliche Test verbieten will.“ Seiner Meinung nach sind diskrete Analysen die beste Lösung. „Man macht heimlich einen Test. Und nur falls sich der Verdacht bestätigt, geht man den offiziellen Weg übers Gericht.“

Schulze hat seine eigene Theorie, warum zur Demo so wenig Männer kamen. „Zweifeln am Vatersein ist nichts, was ein Mann gerne öffentlich thematisiert.“

Die Gefahr, ein Kuckuckskind großzuziehen, wird in der öffentlichen Debatte eher überschätzt. Immer wieder zitierten Medien eine ältere Studie, nach der mindestens jedes zehnte Kind zum falschen Mann „Papa“ sagt. Eine neuere Analyse britischer Mediziner aber ergab, dass nur etwa ein Kind von 25 Kindern nicht vom offiziellen Vater gezeugt wurde. Auch die Daten deutscher Testlabore sprechen dafür, dass die meisten Männer grundlos an den Angaben ihrer Partnerin zweifelten: Etwa 80 Prozent der Verdachtsfälle erweisen sich als unbegründet.

Auf dieser Grundlage begrüßt Edith Schwab, Bundesvorsitzende des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter, das Urteil. „Es ist richtig, weiterhin eine Hürde für die Vaterschaftsanfechtung zu setzen.“ Denn: „Im Interesse der Kinder währt Ehrlichkeit am längsten – bei beiden Eltern.“ COSIMA SCHMITT