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Archiv-Artikel

Ein ernster Spieler

NACHRUF Er zeigte, dass schlichtes Abbilden in die Irre führt, wenn man eine Vorstellung von etwas entwickeln möchte. Der Filmemacher Harun Farocki ist tot

VON CRISTINA NORD

Ein junger Mann, ordentlich gekleidet in dunklem Jackett und mit Krawatte, sitzt an einem Tisch. „Wie können wir Ihnen Napalm im Einsatz und wie können wir Ihnen Napalmverletzungen zeigen?“, fragt er, während er in die Kamera blickt. „Wenn wir Ihnen ein Bild von Napalmverletzungen zeigen, werden Sie die Augen verschließen“, fährt er fort. Er räsoniert weiter; sein rechter Arm greift währenddessen nach etwas, was sich jenseits des Bildrandes befindet. „Wir können Ihnen nur eine schwache Vorstellung davon geben, wie Napalm wirkt“, sagt er resigniert. Als seine Hand wieder im Bild ist, hält sie eine Zigarette. Die drückt der junge Mann auf seinem linken Unterarm aus. „Eine Zigarette verbrennt bei etwa 400 Grad.“ Er bewegt die Hand, sodass die Brandwunde sichtbar wird. Sie hat in etwa die Größe eines Einmarkstücks. „Napalm verbrennt mit etwa 3.000 Grad.“

Der junge Mann im Bild ist Harun Farocki, und der Film, „Nicht löschbares Feuer“, eine 25-minütige Schwarz-Weiß-Arbeit, entstand 1968. Sie zeigt eine Methode, die charakteristisch für Farockis reiches filmessayistisches Werk werden sollte: Der Filmemacher weiß, dass schlichtes Abbilden nicht ausreicht, ja in die Irre führt, wenn man eine Vorstellung und einen Begriff von etwas entwickeln möchte. Er beschreibt deshalb eine doppelte Bewegung: Er reflektiert die Probleme der Veranschaulichung und versucht gleichwohl, Systeme, Abläufe und Funktionsweisen anschaulich zu machen.

Das können zum Beispiel die Verhandlungsstrategien von Bankern sein („Nicht ohne Risiko“, 2004), die Geschichte von Stahlwerken und deren Anteil am Zweiten Weltkrieg („Zwischen zwei Kriegen“, 1978), die Revolution in Rumänien („Videogramme einer Revolution“, 1992) oder auch die Herstellung von Ziegeln, mal per Hand, mal mit Unterstützung von Maschinen („Zum Vergleich“, 2009).

Für Polemik zu haben

Die formale Radikalität der frühen Jahre hat sich Farocki bewahrt; die politische hat sich verschoben: Wenn man „Ein neues Produkt“ (2012) sieht, bleibt man im Unklaren darüber, ob die Unternehmensberater, die in diesem Film über die Optimierung von Arbeitsabläufen sinnieren und damit die Entlassung von Angestellten meinen, sich selbst vorführen. Vielleicht könnten sie das Ganze als Imagefilm betrachten – eine Unklarheit, die produktive Unruhe stiftet.

Farocki kam 1944 im damals sudetendeutschen, heute tschechischen Novy Jicin zur Welt; sein Vater war ein indischer Arzt, die Familie zog oft um, bevor sie sich 1958 in Hamburg ansiedelte. 1966 gehörte er zum ersten Jahrgang von Studenten, die sich an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) einschrieben. Im November 1968 wurde er wegen unerwünschter politischer Aktivitäten relegiert. Zwischenzeitlich arbeitete er für die Kindersendung „Sesamstraße“ oder drehte Lehrfilme. Ab 1973 war er Redakteur bei der Zeitschrift Filmkritik. Ab Ende der 70er Jahre war es ihm möglich, kontinuierlich Filme zu drehen.

Doch je weniger Raum Kino und Fernsehen für essayistische Filmarbeit ließen, umso häufiger wich er in den Kunstbetrieb aus. Auf Filmfestivals wie der Duisburger Filmwoche mit ihren intensiven Diskussionen war er zwar noch Stammgast (und immer für eine kleine Polemik zu haben), doch wurden seine Filme zuletzt oft in Galerien und Museen präsentiert; oder sie entwickelten sich gleich zur Videoinstallation wie „Ernste Spiele“ (zurzeit im Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen). Auf drei Screens wird nachvollziehbar, wie US-amerikanische Soldaten sich mithilfe von Computersimulationen auf ihre Einsätze vorbereiten. Auf dem vierten geht es dann um die Kriegsnachbereitung. Zu sehen ist das fingierte Gespräch zwischen einer Therapeutin und einem traumatisierten Veteranen, hinzu kommen computergenerierte Bilder, die dem Veteranen die eigene Kriegserfahrung noch einmal vor Augen führen. Für diese Bilder stehen weniger Produktionsmittel und weniger Rechnerleistung zur Verfügung als für die Übungsfilme; deswegen werfen Gegenstände und Personen keine Schatten.

Ein gut gelauntes Paar

Am Mittwoch ist Harun Farocki überraschend gestorben. Eben noch hatte er seine Frau, die Künstlerin Antje Ehmann, nach Salzburg begleitet, wo sie im Kunstverein an der Gruppenausstellung „Punctum“ teilnahm. Eine Kollegin flog mit den beiden von Salzburg nach Berlin zurück, sie erinnert sich an ein gut gelauntes Paar und an kein Anzeichen körperlicher Schwäche. Ein Spielfilm, an dessen Drehbuch Farocki mitgearbeitet hat, „Phoenix“ von Christian Petzold, wird im September auf dem Filmfestival in Toronto Weltpremiere feiern; am 16. August eröffnet im Essener Museum Folkwang die Schau „Eine Einstellung zur Arbeit“, in der Farocki und Ehmann Videoinstallationen präsentieren. Der Tod hat Farocki aus großer Produktivität gerissen; er erschüttert deshalb umso mehr.