piwik no script img

Archiv-Artikel

Angst essen Witze auf

Die Karnevalkomitees beschlossen schon im letzten Jahr, kein Risiko einzugehen

VON CIGDEM AKYOL

Das Publikum der Deutschen Oper Berlin schaut gebannt auf die Bühne. Das umstrittene Mozart-Stück „Idomeneo“ wird gerade aufgeführt. Genau: Das ist die Inszenierung mit den abgeschlagenen Köpfen von Jesus, Buddha und Mohammed. Plötzlich springen zwei Selbstmordattentäter auf und drohen, die Oper in die Luft zu sprengen. Nach einer Diskussion mit einigen Zuschauern entscheiden die Terroristen sich aber gegen den Anschlag, weil „isch doch Abbo hab“.

Die Besucher der „Stunksitzung“ im Kölner E-Werk grölen und applaudieren frenetisch. Der Sketch über die Selbstmordattentäter, die keiner Ernst nimmt, begeistert die Karnevalisten. Wahrscheinlich, weil es eine der wenigen Satiren über islamistischen Terror ist, die in der närrischen Jahreszeit gezeigt werden. Denn seit dem Streit um die Mohammed-Karikaturen ist bekannt, dass fanatische Muslime besonders empfindlich sind, wenn es um ihren Propheten geht, und eine niedrige Reizschwelle haben, die zu überschreiten böse Folgen haben kann.

Aber das Ensemble der Stunksitzung, eine satirische Variante der traditionellen Prunksitzungen in Köln, interessieren solche Befindlichkeiten nicht. „Es gibt keine Witze, die wir aus Angst nicht inszenieren“, erklärt Winnie Rau, Sprecher der Stunksitzung. Außerdem dürfe man sich nicht von religiösen Scharfmachern einschüchtern lassen. Schon vor Jahren zeigten die „Stunker“ Talibankämpfer, die sich in die Luft sprengten mit dem Lied „Hey Mister Taliban“. Muslimische Killerkommandos haben sich danach nicht gemeldet. Auch dieses Jahr gab es keine Drohungen von beleidigten Gläubigen. Die Kölner Stunksitzung lässt sich seiner Narrenfreiheit keine Grenzen setzen.

Auf eine derartige Konfrontation mit dem Islam wollen es andere Jecken nicht ankommen lassen. Sie wiederholen jedes Jahr die gleichen Scherze. Witze über Edmund Stoibers Ehefrau „Muschi“ oder Angela Merkels hängende Mundwinkel – fertig ist der Karnevalsspaß. Die da oben in der Regierung, wir hier unten mit der erhöhten Mehrwertsteuer und der verpatzten Gesundheitsreform. Es ist Jahr für Jahr das gleiche Geschwafel. Die Karnevalswitze sind nicht wirklich bemerkenswert.

Bemerkenswerter sind die Witze, die aus Angst nicht mehr gemacht werden: Scherze über den Islam, über die kleine Körpergröße des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad oder über die Holocaustkonferenz werden vermieden. „Wir dürfen nichts verspotten, was anderen heilig ist“, erklärt Volker Wagner, Präsident vom Bund Deutscher Karneval. Deswegen nehme man Rücksicht auf die religiösen Gefühle anderer, sagt er und schiebt hinterher, es bestehe auch „ein gewisses Sicherheitsrisiko“. Der Islam ist in einer ansonsten tabulosen Zeit ein ganz gewaltiges Tabu. Denn die Karnevalisten haben Angst.

Eine Angst, die nicht ganz neu ist, aber immer stärker um sich greift. Denn noch vor zwei Jahren ließen die Narren sich ihren Humor nicht vorschreiben. 2005 veranlassten die Drohungen der USA gegenüber dem Iran die Düsseldorfer Jecken dazu, einen „Mullahburger“ zu erfinden: einen gigantischen Hamburger mit US-amerikanischer Fahne als Verzierung. Als Füllung diente statt Hackfleisch ein iranischer Geistlicher.

Seitdem aber sind islamkritische Witze auf dem Straßenkarneval zu heikel. Die Bilder von brennenden Botschaften und der Aufruhr der Glaubensfanatiker haben Grenzen gesetzt in den Köpfen der Narren. So beschlossen die Karnevalsgesellschaften, die eigentlich wenige Tabus kennen, schon im letzten Jahr, lieber kein Risiko einzugehen und auf Witze über den Islam und die Muslime zu verzichten.

Ob man dieses Jahr, nach der Papst-Rede, einer abgesetzten Oper in Berlin und den vereitelten Kofferbombenanschlägen im Rheinland Scherze über den Islam machen wird, will Jürgen Rieck nicht sagen. Der Geschäftsführer des „Comitee Düsseldorfer Carneval“ (CC) verweigert die Aussage. Der Baumeister der Düsseldorfer Rosenmontagszugswagen, Jacques Tilly, ist da schon gesprächsbereiter. Beschimpfungen sieht er „als Auszeichnung unserer Arbeit“ an. Religiöse Tabus kennt er keine. „Auch Religionen gehören zum satirischen Abschuss frei gegeben“, findet Tilly. Trotzdem werden Mohammedkarikaturen an diesem Rosenmontag nicht gezeigt, weil CC-Geschäftsführer Rieck das nicht will.

Kölner Stunksitzung: „Es gibt keine Witze, die wir aus Angst nicht inszenieren“

Witze über Christen sind weniger tabu. So wurden 1996 im Zuge des Kruzifix-Urteils bayrische Narren ans Kreuz geschlagen. „Klerikale Würdenträger empörten sich, das sei Gotteslästerung“, sagt Tilly und erzählt, dass auch er Drohbriefe erhalten hat. Doch trotz aller Widerstände fuhr der Wagen im Zug mit, wenngleich wie von Verpackungskünstler Christo verhüllt.

Auch im letzten Jahr konnte man in Düsseldorf einen Rosenmontagswagen bestaunen, auf dem der Kölner Kardinal Joachim Meisner eine Frau auf einem Scheiterhaufen anzündete, die bekennt: „Ich habe abgetrieben“. Mit Verweis auf die Meinungs- und Religionsfreiheit verteidigten sich die Düsseldorfer Veranstalter gegen die massive Kritik aus dem katholischen Lager. Gegen die Kritik von Muslimen will man sich erst gar nicht wehren müssen.

Etwa 50 Kilometer rheinaufwärts in Köln scheuen die Karnevalisten die Konfrontation. Rosenmontagszugleiter Christoph Kuckelkorn betont, dass der Karneval ein „Friedensfest“ ist. „Deswegen machen wir keine Witze über Religionsgemeinschaften.“ Vor allem beim Islam sei man sehr vorsichtig. „Hier können wir die Grenzen schlechter abschätzen.“ Rosenmontag soll es aber Karikaturen über den internationalen Terrorismus und Fundamentalismus geben. „Über das Bodenpersonal dürfen wir ja noch lachen.“

Bei den Nachbarn in Rheinland-Pfalz ist es kaum anders. Karl-Heinz Werner vom „Mainzer Carneval Verein“ will nicht provozieren. Deswegen werden auf dem Mainzer Zug „keine religiösen Motive“ gezeigt. Immerhin seien 600.000 Menschen auf der Straße. Deren Sicherheit wolle man nicht gefährden.