piwik no script img

Archiv-Artikel

Gaddafis Truppen rücken vor

KRIEG Entscheidende Schlachten an beiden Fronten

Von D.J.

RAS JDIR/TRIPOLIS/BERLIN afp/rtr/taz | Während Europa sich über den Umgang mit Libyen den Kopf zerbricht, finden an der libyschen Kriegsfront in diesen Tagen entscheidende Schlachten statt. Seit zwei Wochen versucht die Armee des Machthabers Muammar al-Gaddafi, die von Aufständischen gehaltene, isolierte Stadt Sawija 40 Kilometer westlich der Hauptstadt Tripolis zurückzuerobern. Sollten Gaddafis Streitkräfte dies schaffen, könnten sie ihre in Westlibyen gebundenen Kräfte an die Front im Osten werfen und ihre Angriffe auf die Hauptstreitmacht der libyschen Rebellen erheblich ausweiten.

Am Donnerstag schien es, als sei Gaddafi im Begriff, dieses Ziel zu erreichen. Die Rebellen im Ölhafen Ras Lanuf, der Frontstadt im Osten des Landes, meldeten die bisher heftigsten Angriffe der Regierungsstreitkräfte seit Beginn der Kämpfe. Ein Reporter des Fernsehsenders al-Dschasira sprach vom Vormarsch starker Bodentruppen, dem schweren Artillerieangriffe, Luftangriffe und Beschuss aus Kriegsschiffen vom Mittelmeer vorausgegangen seien. „Wir haben uns seit Tagen gefragt, warum Gaddafi nicht all seine Kräfte einsetzt. Jetzt sehen wir sie“, sagte der Reporter. Erstmals wurden auch Einrichtungen der Ölindustrie von Bomben getroffen und standen in Flammen.

Am Nachmittag gab es erste Meldungen, die Rebellen hätten sich aus Ras Lanuf zurückgezogen. Journalisten sahen zahlreiche offene Lastwagen mit Rebellenkämpfern, darunter auch Verwundete, auf dem Weg aus der Stadt Richtung Osten. „Sie beschießen uns, und wir laufen weg“, sagte ein Rebellenkämpfer.

Am Mittwochabend hatte das Staatsfernsehen bereits die Rückeroberung der Stadt Sawija im Westen gemeldet und Bilder von einer Gaddafi-Siegeskundgebung gezeigt, die angeblich in der Nähe des Zentrums der Stadt stattfand. Mit 50 Panzern, berichten Augenzeugen, rückten Gaddafis Truppen am Dienstag in die Stadt ein und begannen ihre Offensive. Ein Armeekapitän wurde am Mittwoch mit den Worten zitiert: „Es könnte sein, dass sich noch Ratten in manchen Gassen und Wohnungen aufhalten. Wir fangen sie, eine Gruppe nach der anderen.“

Rebellen behaupteten am Donnerstagmorgen dennoch, sie seien noch in der Stadt. Große Teile Sawijas wurden bei Gaddafis Angriff zerstört, berichteten geflohene Bewohner. „Es liegen viele Leichen herum, niemand kann sie begraben. Niemand ist auf der Straße. Nicht einmal Tiere, nicht einmal Vögel“, berichtet ein Augenzeuge.

Ein anderer, der nach Tunesien geflohen ist, sagte: „Sawija, das ist wie Somalia: bum, bum, bum!“ Bei den Kämpfen um Sawija sollen nach Rebellenangaben mehrere hohe Militärs der Gaddafi-Armee getötet worden sein. Eine Spezialeinheit der Armee habe überdies in Ras Lanuf die Seiten gewechselt. D.J.