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Archiv-Artikel

Ein Blumenmeer für den Führer

Nordkoreas Machthaber Kim Jong Il wird zu seinem Geburtstag mit tausenden Begonien geehrt. Dafür ist dem Staat kein finanzieller Aufwand zu groß, während die Bevölkerung hungert und friert

VON JUTTA LIETSCH

Eisig pfeift der Wind durch Pjöngjang. In kalten Wohnungen, ungeheizten Büros und Geschäften frieren die Bewohner. Brennstoff und Strom sind knapp in Nordkorea, sogar in der privilegierten Hauptstadt lässt die schwankende Stromspannung die Leitungen immer wieder durchschmoren. Abends liegen viele Siedlungen im Dunkeln.

Ein Ort in Nordkoreas Metropole jedoch ist angenehm warm und hell – die „Kimilsungia-Kimjongilia-Ausstellungshalle“ im Herzen der Hauptstadt. Im großen Glashaus herrscht Hochbetrieb. Wenn der Machthaber des bitterarmen Landes, der Genosse General Kim Jong Il, morgen seinen 65. Geburtstag feiert, wird ihm zu Ehren hier wieder ein Meer von roten Tropenpflanzen erblühen: tausende Begonien, „Kimjongilia“ genannt. Das dankbare Volk schenkt sie seinem Führer. Das „Kimjongilia“-Blumenfestival gehört zu den alljährlichen Feierlichkeiten, mit denen sich Nordkoreas Regent von seinen Untertanen ehren lässt. Täglich drängen sich Tausende durch die Gänge, um die Blüten zu bewundern.

Was auf den ersten Blick als Kuriosität erscheint, ist nach Meinung von Fachleuten ein höchst aufwendiges und teures Unterfangen – vor allem in Zeiten großer Not, Armut und Stromknappheit. Statt Obst und Gemüse in ihren Gewächshäusern anzupflanzen, waren viele Gärtner in den vergangenen Monaten damit beschäftigt, die empfindlichen Begonien durch den Winter zu bringen – und dafür zu sorgen, dass sie rechtzeitig zum Geburtstagsfest erblühen.

Mickern, welken oder sterben dürfen die Blüten auf keinen Fall. Dies würde als böses Omen gedeutet und womöglich gar als mangelnde Sympathie für den ruhmreichen Führer. „Verrückt“ nennt ein ausländischer Botaniker die enormen Kosten, die hinter der Blütenschau von Pjöngjang stecken: Während Gärtner in Europa „solche Blumen nur im Sommer pflanzen, weil alles andere zu teuer ist“, stört das die Nordkoreaner nicht. Die Stecklinge der Begonie werden in den Wintermonaten gezogen, wenn das Quecksilber draußen unter minus zehn Grad fällt.

Um recht- und gleichzeitig zum Geburtstag des Führers zu erblühen, brauchen die Begonien viel Fürsorge, Licht und eine konstante Temperatur: Über vier Monate lang werden die Gewächshäuser auf 20 Grad Celsius am Tag und zehn Grad in der Nacht geheizt, berichten nordkoreanische Botaniker. Starke Glühbirnen mit 10.000 Lux sorgen für einen regelmäßigen Rhythmus von Helligkeit und Dunkelheit. Dafür gibt es genug Strom und genug Öl für die Generatoren, auch wenn es in den Krankenhäusern und Kinderheimen des Landes bitterkalt bleibt.

Schöpfer der Kim-Begonie war ein japanischer Verehrer Pjöngjangs namens Kamo Mototeru, der Kim Jong Il seine Züchtung 1988 zum Geburtstag verehrte. Die Begonie stieg zur zweiten Kultblume des Landes auf – neben der „Kimsungilia“-Orchidee, die dem alten Kim Il Sung ein Indonesier gewidmet hatte.

Längst beschäftigt die Begonie nicht nur Gärtner, sondern auch Wissenschaftler, Diplomaten und Kaufleute des Landes. So erhielten die Botaniker den Auftrag, die Kimjongilia genetisch zu manipulieren. „Sie sollen sie winterhart machen, damit die Pflanze auf der Fensterbank in Nordkorea im Winter blühen kann“, berichten ausländische Kollegen, die von Nordkoreanern um Rat gebeten wurden.

Zu den Pflichten nordkoreanischer Diplomaten im Ausland gehört der Besuch botanischer Gärten und internationaler Blumenschauen: Dort sollen sie dafür sorgen, dass Kimjongilias einen Ehrenplatz in den Gewächshäusern erhalten und zur höheren Ehre des Führers prämiert werden, damit „die Welt die glänzende Zukunft Koreas unter der Führung von Kim Jong Il erkennen und den nationalen Geist und das Selbstbewusstsein des nordkoreanischen Volkes vollständig verstehen“ kann, wie die amtlichen Medien jubeln.

Durch die Blume betrachtet, lassen sich auch die aufblühenden Spekulationen über Kim Jong Ils Nachfolger beantworten: Offenkundig denkt in Pjöngjang niemand daran, einen der drei Söhne zum künftigen Machthaber zu küren. Von einer Kimjongnamia, einer Kimjongcholia oder einer Kimjongunia hat noch nie jemand etwas gehört.