„Wir werden keine Gen-Pflanzen anbauen“

INTERVIEW HANNA GERSMANN

taz: Herr Sonnleitner, gönnen Sie uns den Ökoapfel nicht?

Gerd Sonnleitner: Warum diese Frage?

Der Appetit auf Bio wächst, aber 95 Prozent der hiesigen Bauern ackern noch konventionell. Wieso?

Nach der BSE-Krise gab es einen großen Bio-Boom. Dann haben viele Bauern umgestellt. Doch im Jahr 2003 gab es den Nitrofenskandal …

bei dem erstmals Ökotierfutter entdeckt wurde, das mit hochgiftiger Chemie verseucht war …

… und dann brach die Nachfrage in den Ökoläden ein – und die Preise für die Landwirte. Unsere Bauern sind aber Unternehmer, die sich am Markt orientieren müssen. So stellten die Bauern weniger auf Bio um. Das merken wir heute.

Demnach liegt es an Nitrofen, dass derzeit die Bioregale in Deutschland praktisch leergekauft sind?

Die Höfe, die in den Ökolandbau wechseln möchten, brauchen zwei oder drei Jahre zur Umstellung. In dieser Übergangszeit bekommen sie für ihre Produkte noch die niedrigeren konventionellen Preise. Das ist finanziell ausgesprochen schwierig. Zudem gab es bis zum vergangenen Jahr Überschüsse. Bauern wurden ihre Biomilch nicht los. Also verkauften sie ihr Ware mit Verlusten zu den konventionellen Preisen. Man hat uns hängen lassen.

Wer genau hat Sie Ihrer Meinung nach hängen lassen?

Alle, die immer die Ökolandwirtschaft fordern. Würden sie auch Bioprodukte einkaufen, hätten wir schon längst zwanzig oder dreißig Prozent Ökoproduktion.

Jetzt sind es aber nur knapp fünf Prozent. Als Renate Künast von Bündnis 90/Die Grünen vor sechs Jahren Agrarministerin wurde, versprachen Sie mitzuhelfen, zehn Prozent Ökolandbau zu erreichen. Das hat nicht geklappt – auch ein schlechtes Zeugnis für Sie persönlich ?

Nein, die Nachfrage war nicht da. Sie können doch zu den Bauern nicht sagen, stellt um, wenn der Markt gerade schlecht ist. Selbst die Ökobauern sagten vor zwei Jahren noch zu uns: „Bitte forciert das nicht. Der Markt muss sich erst bereinigen.“

Warum, Herr Sonnleitner, entdecken Sie den Biotrend später als Lidl und Aldi, die jetzt Öko verkaufen?

Der Lebensmittelhandel kann von einem Tag auf den anderen sein Angebot im Regal umstellen. So sind die Discounter plötzlich mit großen Verkaufsflächen in den Biomarkt eingestiegen. Das war ohne Abstimmung mit den Biobauern, die längere Übergangsfristen brauchen.

Woher soll der Bionachschub nun kommen: aus Ungarn oder Tschechien?

Aus Deutschland wird er verstärkt kommen.

Wie soll das jetzt gehen?

Wir haben uns massiv dafür eingesetzt, dass die Hilfen für die Ökobauern erhalten bleiben. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie die Grünen zum ersten Mal in den Bundestag gekommen sind. In Gesprächen mit mir hieß es: „Wir brauchen vom Staat nichts und vom Bauernverband auch nichts. Wir haben bessere Produkte.“

Sie meinen, der Bauernverband hat sich nichts vorzuwerfen?

Wir haben schon immer gesagt, dass Ökobauern genauso abhängig sind vom Markt und von der Politik wie ihre konventionellen Kollegen.

Ab wann rechnet sich die Ökoproduktion genau?

Wenn höhere Preise für die Erzeuger die geringeren Erträge und Mehrkosten ausgleichen. Das funktioniert bei Kartoffeln und Getreide. Bei der Milch reichen aber die üblichen fünf Cent Biozuschlag nicht.

Was macht die Bioproduktion teurer?

Die Auflagen für die Tierhaltung sind höher, die Vorgaben für Futter-, Dünge- und Pflanzenschutzmittel strenger. Ein Beispiel: Um Unkraut loszuwerden, darf der konventionelle Landwirt Rübenacker zum Beispiel spritzen, der Biobauer hackt es weg.

Schrecken Bauern auch vor der Plackerei zurück?

Wenn die Arbeit entsprechend unserem Lohnniveau in Deutschland bezahlt wird, nicht. Sie müssen so viel verdienen, dass sie Leute einstellen können. Biobetriebe sind längst nicht mehr der familiäre Hühnerhof. Viele haben da falsche, romantische Vorstellungen. Die Ökobetriebe wachsen. Im Osten Deutschlands gibt es sogar Biobetriebe mit über 5.000 Hektar.

Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, Ihren eigenen Hof umzustellen?

Momentan stellt sich die Frage nicht. Was nicht ist, kann aber noch kommen. Das hängt von der Marktentwicklung ab. Ich bin da nicht ideologisch ausgerichtet.

Wo sehen Sie die Zukunft der Landwirtschaft in der Bundesrepublik?

Unser Hauptgeschäft bleibt die Nahrungsmittelproduktion. Einen wichtigen Teil wird auch die Bioenergie ausmachen. Sie wird jetzt stark ausgebaut.

Um die Bioenergie zu fördern, propagieren Sie „Kornkraft statt Kernkraft“. Sagen Sie uns einen ähnlich prägnanten Spruch für Biogemüse?

Einen solchen Slogan brauchen wir nicht. Denn es gibt das staatliche Biosiegel, das für Werbung sorgt. An diesem grünen sechseckigen Zeichen kann jedes Kind Bioware erkennen.

Allein um zehn Prozent des europäischen Kraftstoffbedarfs zu ersetzen, würde ein Drittel der Ackerfläche gebraucht, sagen Experten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Rechnet sich das?

Wir haben in Deutschland noch sehr viele Flächen, die stillgelegt sind: nämlich 700.000 der insgesamt 11 Millionen Hektar. Deshalb glaube ich den Zahlen nicht. Außerdem sind Rumänien und Bulgarien mit riesigen Ackerflächen zur EU gekommen. Da ist es gut, wenn wir den neuen Bioenergiemarkt haben. Damit wir noch etwas verdienen.

Was verdient ein Bauer derzeit im Schnitt?

Unsere Einkommen hinken hinterher. Ein Bauer verdient hierzulande etwa 1.900 Euro brutto im Monat, wovon noch die Investitionen in den Hof bestritten werden müssen. Das sind dreißig Prozent weniger als der gewerbliche Vergleichslohn. Jedes Jahr hören knapp fünf Prozent der Bauern auf.

Immer mehr Menschen lehnen die Hochleistungslandwirtschaft ab. Fürchten Sie um das Image der konventionellen Bauern?

Nein, doch müssen wir aufklären. Je weiter Menschen sich von der Landwirtschaft entfremden, umso verklärter und unwissender wird ihr Urteil. Wer uns besucht, Auflagen und Strukturen kennt – der akzeptiert uns. Wir sind bei Umwelt- und Tierschutz weltweit vorne.

Jeder Bauer ist ein Naturschützer?

Nachhaltigkeit liegt in unseren Genen. Tiere sind Mitgeschöpfe Gottes, die gut behandelt werden müssen. Sie, unser Betrieb, der Boden und die Luft sind unsere Ressourcen. Es ist der Stolz des Bauern, diese an seine Kinder weiterzugeben.

Wie kommt dann Gift ins Gemüse und gammeliges Fleisch auf den Tisch?

Natürlich haben wir in einer hochindustrialisierten modernen Gesellschaft auch Probleme. Zudem wird ein Großteil der Lebensmittel in einer arbeitsteiligen Kette verarbeitet. Für die Bauern nehme ich in Anspruch, dass wir klasse Qualität produzieren. Nur müssen Kontrollen überall so konsequent gemacht werden wie bei uns auf den Höfen. Gibt es kriminelles Fehlverhalten in der Lebensmittelkette, muss man dagegen vorgehen.

Horst Seehofer bezeichnet sich als „Cheflobbyist der Bauern“. Wie nahe stehen Sie dem CSU-Bundesagrarminister?

Ich bin kein Parteimitglied. Ich treffe mich mit Horst Seehofer genauso wie ich mich mit Renate Künast getroffen habe. Doch er geht mehr auf uns zu.

Er will den Anbau von Genpflanzen vereinfachen. Eine gute Idee?

Für uns ist das kein Problem. Der Verbraucher will keine gentechnisch veränderten Lebensmittel. Also werden wir keine gentechnisch veränderten Pflanzen anbauen.

Ihre Prognose für die nächsten fünf Jahre, aber bitte ehrgeizig: Welche Fläche wird in fünf Jahren ökologisch beackert?

Knapp zehn Prozent.