Illegale Denkmäler

STRASSENKUNST Graffiti sind allgegenwärtig, kaum bekannt jedoch sind die Menschen dahinter. Der Sprayer Eisdealer, der Stadtplaner Dennis Beyer und der Galerist Johann Haehling von Lanzenauer erklären die Szene

Der Galerist Johann Haehling von Lanzenauer sorgt dafür, dass Straßenkünstler von ihrer Kunst leben können. Das überdimensionierte Kunstwerk in Kreuzberg stammt von BLU Fotos: Lisa Poelker

VON LISA POELKER, JONAS RINGEL, ELISA HEUSER

Eine karge Freifläche, Grasgestrüpp, Bierflaschen, alte Sprühdosen liegen in einer rostigen Tonne. „Ein großer Abenteuerspielplatz für Streetart-Künstler“, sagt Eisdealer. Er ist ein Kenner der Berliner Szene. Sein Blick wandert über die besprühten Mauern, die den Platz am Spreeufer im Bezirk Kreuzberg umrahmen.

In weißer Farbe prangt auf der einen Wand ein meterhoher Mann mit Hemd und Krawatte, dessen goldene Armbanduhren an beiden Handgelenken wie Fesseln durch eine Kette verbunden sind. Der Platz ist Treffpunkt unterschiedlichster Menschen und dokumentiert die Entwicklungen in der Streetart innerhalb der letzten Jahre. Während Pieces – so heißen die farbig gefüllten Schriftzüge der Graffiti-Writer – in den 80er Jahren den Anfang im Stadtviertel machten, dominieren heute riesige Malereien des italienischen Streetartists BLU die Hauswände des Platzes. BLU ist anerkannter Künstler der Szene. In den Jahren 2007 und 2008 entstanden seine großflächigen Motive, die er ungestört über mehrere Tage hinweg anbringen konnte. Für Graffiti-Writer ein Ding der Unmöglichkeit. Denn Akzeptanz erfahren sie kaum, erklärt Eisdealer. Viele Graffiti-Writer verbreiten ihre Namen durch Tags – das sind gesprühte Unterschriften –, um sich Respekt zu verschaffen. „Taggen ist eher eine Sportart.“ Dennoch bestehen Gemeinsamkeiten zwischen dem Graffiti-Writer und dem Streetart-Künstler. „Was produziert wird, ist längst nicht mehr Underground“, sagt Eisdealer. Allerdings müssten beide noch im Underground agieren und ihre Anonymität wahren. Ihre Arbeit ist strafbar.

Nach Einschätzung des Stadtplaners Dennis Beyer, der im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung arbeitet, ist der typische Sprayer auch deshalb meist nicht älter als 24 Jahre. „Dann sind die meisten in festen Beziehungen, möchten ihre Abende lieber bei der Freundin auf der Couch verbringen und haben Angst, nach einer Strafanzeige ihren Job zu verlieren“, sagt er. Beyer beschäftigt sich wissenschaftlich mit dem Thema. „Der Denkmalwert der Illegalität“, lautet der Titel seiner Diplomarbeit. Darin setzt er sich mit der Frage auseinander, ob es Straßenkunst gibt, die trotz illegaler Entstehung erhaltenswert ist. Er kommt zu dem Schluss: Für die Bewertung von Streetart gelten dieselben Kriterien wie für den Denkmalschutz. Ein schützenswertes Werk müsse von künstlerischer, gesellschaftlicher und städtebaulicher Relevanz sein. Als konkretes Beispiel nennt er ein Wohnhaus an der Schlesischen Straße. Vor Jahren hatte ein Unbekannter den Schriftzug „Bonjour Tristesse“ in schwarzen Großbuchstaben auf die eintönige graue Fassade gepinselt. Heute ist den Berlinern das Gebäude als „Bonjour Tristesse“-Haus ein Begriff. Beyer meint: „Streetart gehört nicht in die Galerie. Sie muss am Ort bleiben, weil sie ohne Raumbezug ihre Aussage verliert.“

„Streetart gehört nicht in die Galerie. Sie muss am Ort bleiben“

Johann Haehling von Lanzenauer ist Inhaber der Circleculture Gallery in Berlin-Mitte. Seit zehn Jahren setzt der junge Galerist auf Künstler, die Streetart machen. Er nennt es lieber „Urban Art“. Viele der Künstler haben ihre kreativen Wurzeln im städtischen Raum. Werke etwa des ausstellenden Künstlers XOOOOX können mit etwas Glück auch in Berliner Straßen entdeckt werden. Dass Urban Art in kommerziellem Rahmen ausgestellt wird, bewertet von Lanzenauer positiv. „Auch Künstler müssen ihre Kinder ernähren und ihre Hunde füttern“, sagt er. Arbeiten, die in seiner Galerie ausgestellt werden, seien speziell für den Markt produziert. Dass Streetart zu Verkaufszwecken aus dem öffentlichen Raum entfernt werde, sei eher ein Ausnahmefall. „Was bei Christie’s los ist, ist allerdings schon brutal“, gibt von Lanzenauer zu. Das Londoner Auktionshaus versteigert Streetart-Werke für über hunderttausend Pfund. Die Authentizität ist es, die die Menschen an der Streetart in all ihren Facetten reizt. „Streetart ist kraftvoll und anspruchsvoll, ohne hyperkonzeptionell zu arbeiten“, sagt von Lanzenauer. Sie entspringt dem wahrhaftigen Leben.

Der Sprayer Eisdealer glaubt, die Streetart werde früher oder später in den Galerien landen. „Entscheidend ist, dass die Menschen nicht vergessen, dass der Ursprung der Streetart im Underground liegt.“