: „Staatliche Panikmache“
Für ihre Doktorarbeit über das Verbot von Cannabis in Deutschland wurde die Juristin Nicole Krumdiek von der Uni Bremen preisgekrönt. Ein Gespräch über die Legalisierung von weichen und harten Rauschmitteln, die Mär von der Einstiegsdroge und verschenkte Steuermilliarden
Interview: Jan Zier
taz: Haben Sie schon einmal gekifft, Frau Krumdiek?
Nicole Krumdiek: Grinst
Wäre ja auch unklug, das öffentlich zu sagen.
Darum geht es nicht. Mich interessiert die Frage, ob das Verbot von Cannabis aus juristischer Sicht noch gerechtfertigt ist.
Und?
Nein.
Warum?
Der Gesetzgeber braucht einen legitimen Zweck, um etwas unter Strafe zu stellen. In diesem Falle ist das vor allem die Volksgesundheit. Nationale und internationale Studien kommen aber übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass das Gefährdungspotenzial gering ist. Cannabis ist eine relativ harmlose Substanz mit berechenbarem Risikopotenzial. Natürlich möchte man sich keinen Piloten vorstellen, der vor dem Abflug erstmal ein Tütchen raucht. Aber Cannabis hat zur Folge, dass man sich eher unterschätzt, vorsichtig ist. Bei Alkohol ist das Gegenteil der Fall.
Gibt es ein Recht auf Rausch, wie es einst Richter Wolfgang Neskovic im Landgericht Lübeck proklamierte?
Ich plädiere darauf, dass man den Menschen Eigenverantwortlichkeit überträgt. Wenn etwas nicht groß gefährlich ist, dann besteht ja für den Staat auch nicht die Notwendigkeit, das strafrechtlich zu verbieten. Das Strafrecht ist immer nur das letzte Mittel, um ein Verhalten zu sanktionieren. Und die Selbstschädigung ist in unserem Rechtsystem grundsätzlich straffrei. Es verbietet ja auch keiner, jeden Tag Fast Food zu essen oder Bungee-Jumping zu machen. Das muss dann auch für den Umgang mit Cannabis gelten. Die bestehenden Gefahren sind so hinreichend kalkulierbar, dass ein Verbot nicht mehr gerechtfertigt ist.
Aber eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht hätte vermutlich keinen Erfolg.
Das Bundesverfassungsgericht „entzieht“ sich der inhaltlichen Entscheidung. Die ist auch eine politische.
Konservative halten Haschisch und Marihuana immer noch für eine Einstiegsdroge.
Es kursiert ja auch immer noch das Märchen, dass Spinat viel Eisen enthält. Das sind Vorurteile, die sich halten. Wer das glauben will, glaubt das auch. Aber national wie international sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse einhellig: Cannabis fungiert nicht als Einstiegsdroge. Es ist höchstens die erste illegale Droge. Voran geht immer noch der Konsum von Zigaretten und Alkohol.
Dann müsste man also konsequenterweise auch den Alkohol verbieten?
Nein, logisch wäre es, auch Cannabis freizugeben.
Und was ist mit den harten Drogen?
Die haben ein ganz anderes Gefährungspotenzial. Aber ich bin auch für eine eingeschränkte Freigabe von Heroin und Kokain. Nicht damit es jeder im Laden kaufen kann. Aber die Verschreibung auf Rezept sollte, so wie auch in England, möglich sein. Dort wird Heroin beispielsweise in der Schmerztherapie eingesetzt, oder bei Schwerstabhängigen. Hierzulande substituiert man sie lieber mit Methadon – obwohl dessen Suchtpotenzial um einiges größer ist als das von Heroin. Auch Cannabis könnte in der Medizin eingesetzt werden. Es stellt sich aber die Frage, inwieweit die Pharmaindustrie an einem so billigen Rohstoff wie Cannabis überhaupt interessiert ist.
Wie sollte die Freigabe von Cannabis organisiert sein?
Vorstellbar sind beispielsweise Cannabis-Cafés, wie man sie aus den Niederlanden kennt, unter strenger staatlicher Aufsicht und Kontrolle. Das muss auch so sein, um die Vorgaben der EU zu erfüllen. Der private Handel aber muss verboten bleiben, auch müsste gewährleistet sein, dass das Cannabis nicht über die Grenze geht.
Sind die Niederlande also ein Vorbild?
Grundsätzlich schon. Aber sie widersprechen sich insofern, also sie den Verkauf tolerieren, den Ankauf aber kriminalisieren. Dies geschieht allerdings aufgrund von UN-Vertragsverpflichtungen. Vorbildlich hingegen ist, dass in den Cannabis-Cafés kein Alkohol ausgeschenkt wird, dass nur geringe Mengen abgegeben werden, dass Jugendliche dort keinen Zutritt haben. Das könnte Deutschland übernehmen.
Anfang des 20. Jahrhunderts war es bei uns noch üblich, dass die Bauern Cannabis rauchten und das „Knaster“ nannten.
Oder „starken Tobak“. Und es hat keiner was dagegen gesagt. Aber damals hatte das Cannabis einen recht niedrigen Gehalt an berauschendem THC. Aber die Substanz wirkt ja nicht anders, weil sie stärker dosiert ist. Das ist wie mit starkem Kaffee und mildem Kaffee.
Aber für harte Drogen kommt eine Freigabe rechtlich nicht in Frage?
Ich kann da nur meine persönliche Meinung äußern: Ich halte die kontrollierte Abgabe von Heroin oder Kokain für sinnvoll, weil damit die Beschaffungskriminalität reduziert, der Schwarzmarkt und auch die organisierte Kriminalität bekämpft werden kann.
Und gesünder wäre es auch. Das Heroin müsste nicht mehr gestreckt werden.
Ja. Reines Heroin würde kaum körperliche Verfallserscheinungen nach sich ziehen. Heroin war ja ursprünglich ein Medikamentenzusatz von BASF.
Woher kommt die Angst vor der Freigabe von Cannabis?
Meiner Meinung nach ist das eine jahrelang gepflegte staatliche Panikmache. Natürlich muss man Angst haben, dass ein Kind schwerstdrogenabhängig wird. Aber bei Cannabis ist die Angst geschürt, auch durch gezielte Verschleierung in den Medien, etwa im Spiegel. Dort wurden bewusst falsche Sachen wieder gegeben, Studien falsch zitiert. In der 4.000-jährigen Geschichte von Cannabis ist nicht ein einziger Todesfall auf Cannabis zurückzuführen, auch wenn oft von „Drogentoten“ die Rede ist. Das Cannabisverbot kommt ja aus den USA. Dort ist es vor allem aufgrund moralischer und rassistischer Einstellungen entstanden. Deutschland hat dem seinerzeit nur zugestimmt, um selbst weiter Opiumhandel betreiben zu können.
Der Konsum an sich ist ja straffrei, nur Erwerb, Besitz und Anbau sind illegal.
Die einzige Möglichkeit straffrei Cannabis zu konsumieren ist die: An einem Zaun findet sich ein Joint, man findet ihn – und ohne ihn zu berühren zieht man daran, geht weiter, nimmt den Joint aber nicht mit.
Dabei könnte man viel Geld sparen, wenn man Cannabis freigeben würde.
Ja. Die Strafverfolgungskosten würden entfallen, dazu viel Bürokratie. In Cannabis-Cafés könnten Jobs geschaffen werden, und Cannabis könnte besteuert werden. Es gibt Schätzungen, denen zufolge der Staat nach einer Freigabe eine Milliarde Euro jährlich einnehmen würde.