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Archiv-Artikel

Leder und Besen machen stark

„Normal Love“ im Künstlerhaus Bethanien beleuchtet die Verkettung von Erwerbsarbeit und Geschlechteridentität

Um gute Arbeit zu leisten, reicht die schiere Erledigung der vereinbarten Tätigkeiten in den wenigsten Fällen aus. Geht es doch beim Arbeiten auch darum, dass sich Personen einbringen und für das Produkt oder ihren Arbeitgeber am besten mit Haut und Haaren einstehen. Dazu gehört auch ein geschlechtlich eindeutiges Auftreten als normaler Mann oder ordentliche Frau. Man stelle sich nur mal eine Transe als Kindergärtnerin vor.

Die von Renate Lorenz im Künstlerhaus Bethanien kuratierte Ausstellung „Normal Love. Precarious Sex. Precarious Work“ widmet sich dieser zumeist stumm vorausgesetzten Verkettung von Erwerbsarbeit mit Körperarbeit und der damit verbundenen Liebe zu ihr – und zur Normalität. Dass die produktive Verbindung von Individualität, sexueller Energie und Arbeit nie gesichert, sondern prekär ist, darauf weist schon der Titel unmissverständlich hin. Das gilt auch für die Allernormalsten unter uns. Die erste Fotografie zeigt daher einen biederen, blonden Anzugsträger mit dem Schild „I’m desperate!“ (Ich bin verzweifelt) in der Hand.

Im Weiteren steht dann das weibliche Subjekt im Mittelpunkt. Allen voran die Fotografin und Hausangestellte Hannah Cullwick. Zwischen 1855 und 1902 hat sie sich selbst ins Bild gesetzt: mal als Mädchen mit Besen und Lederarmband – Sklavenband, wie sie es nennt –, das burschikos selbstbewusst die eigenen Oberarmmuskeln streichelt, mal als Dame mit Schoßhündchen, mal als schwer arbeitendes Hausmädchen mit stark verschmutzter Schürze. Cullwicks Fotografien werden erstmals in Deutschland ausgestellt und bilden gemeinsam mit ihren Tagebucheinträgen die historische Referenz für aktuelle Selbstinszenierungen im Rahmen der vermeintlich normalen Liebe zur Arbeit. Und der damit verbundenen Anforderung, ein normales Geschlecht zu performen, sollte man Arbeit bekommen oder behalten wollen.

Pauline Boudry nimmt mit ihrer Videoarbeit „normal work“ als Einzige direkt Bezug auf Cullwick. So lässt sie eine Butch vor romantischer Landschaftsmalerei die Hausfrauenpose Cullwicks nachstellen. Nach wenigen Minuten wird dann das Hintergrundbild ausgewechselt. Unter den knappen Anweisungen von Boudry posiert die Butch nun wahlweise als Gentleman, Grande Dame oder eben auch als Butch vor Del LaGrace Volcanos Fotoarbeit „Bad Boys, Chain Reaction“ (1987). Und damit vor einem Klassiker der gegenwärtigen Queer-Performanz-Theorie-Szene. Dieser zeigt zwei Lesben in Lederkluft und mit Schnurbart; beide haben die Hand am Penis der einen. Authentizität also, so ließe sich interpretieren, ist nicht zu haben, alles ist Inszenierung, alles ist Arbeit.

Die vielleicht schönste Arbeit dieser sorgsam und liebevoll gemachten Ausstellung stammt von Ines Doujak: „Dirty Old Women“ (2001). 77 kleine quadratische Fotografien im hellen Holzrahmen, seriell angeordnet, zeigen ältere entkleidete Frauen. Von schräg oben aufgenommen, sieht man, wie sie sich in einer Art gekacheltem Kasten lustvoll im Schmutz bewegen. Ihre Körper sind aufgrund von Alter und vielleicht auch Arbeit aus der Form gelaufen, doch das stört den liebevoll körperbetonten Umgang mit ihnen nicht. Offensichtlich haben die Frauen Spaß mit sich und sind weder an der Außen- noch Männerwelt interessiert. Ihre Kittelschürzen hängen an der Wand, ihre Schamhaare sind mal rasiert, mal nicht. In aller Unaufgeregtheit wird hier das abendländische Paradigma des Ekels aufgerufen und mit nachhaltiger Wirkung ad acta gelegt: die lüsterne dreckige alte nackte Frau. INES KAPPERT

Normal love, Künstlerhaus Bethanien, Mi.–So., 14–19 Uhr, bis zum 4. 3. Der Katalog ist bei b_books erschienen