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Archiv-Artikel

Der Falke im Kreml steigt auf

Mit der Ernennung zum Vizepremier erhebt Russlands Präsident Putin den bisherigen Verteidigungsminister Iwanow in den Rang eines potenziellen Nachfolgers. Ob Putin das wirklich will oder nur Verwirrung stiftet, diskutieren die Kremlastrologen

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Sergei Iwanow konnte die Erregung nur mit Mühe zügeln. Mehrfach drohte die Stimme sich zu überschlagen. Ergeben dankte der ehemalige Verteidigungsminister vor dem versammelten Kabinett Präsident Wladimir Putin für die Ernennung zum ersten stellvertretenden Ministerpräsidenten. Das Fernsehen brachte die Ergebenheitsadresse in voller Länge. Merkwürdig indes: Iwanows zufriedene Miene passte nicht zur Unruhe, mit der der sonst eher stoische, kontrollierte Kremlchef den Kaderwechsel diesmal präsentierte.

Sergei Iwanow wird in der neuen Funktion auch weiterhin für die Rüstungsindustrie zuständig sein, soll sich darüber hinaus aber auch um innovative Bereiche der zivilen Wirtschaft kümmern. Näheres behielt der Kreml für sich. Die Ernennung zum ersten stellvertretenden Vizepremier hebt Iwanow, den Putin früher mal als seinen engsten Vertrauten bezeichnete, auf eine Stufe mit Dmitri Medwedjew. Beide werden seit längerem als potenzielle Nachfolger im Amt des Präsidenten gehandelt.

Mit den jüngsten Kaderverschiebungen unterstreicht der Kremlchef, dass allein er die Nachfolgefrage entscheiden wird. Und es ist nicht ausgemacht, ob Putin im nächsten Winter nicht doch einen ganz anderen Kandidaten aus dem Ärmel zaubert. Schließlich gehört es seit jeher zur Personalpolitik im Kreml, durch Ernennungen einfach mal ein paar Nebelkerzen zu zünden.

Iwanow stellt den Falken im Kabinett, ein Großmachtideologe alter Schule, der dem Sicherheitsapparat des Geheimdienstes KGB und dessen Nachfolgeorganisation FSB entstammt. Er ist ein Vertreter der Silowiki, der verschiedenen Sicherheitsministerien, die inzwischen alle entscheidenden Posten in Russland an sich gerissen haben.

Medwedjew gehört nicht zu diesem Kreis. Doch was der Jurist aus Sankt Petersburg tatsächlich verkörpert, weiß niemand. Klar ist nur: Er hängt nicht in der Seilschaft der Silowiki und verteilt spendabel, seit Wladimir Putin ihn zum Aufseher mehrerer nationaler Projekte erkor, Gelder an unterschiedlichste Interessengruppen. Jungen Leuten hilft er mit Wohnraum, Bauern mit Vieh, Lehrern zahlt er bessere Löhne und Müttern eine großzügigere Kinderpauschale.

Iwanow konnte da nicht mithalten. Vielmehr musste der seit 2001 recht erfolglos amtierende Verteidigungsminister Müttern die traurige Nachricht überbringen, dass ihre Söhne im Vaterlandsdienst gequält, verstümmelt und ermordet wurden. Mit Meldungen von untergegangenen U-Booten, fehlgezündeten Raketen und Korruptionsskandalen in den oberen Etagen der Armee machte das Ministerium vornehmlich von sich reden. Der 54-jährige Iwanow dürfte daher über den Amtswechsel in jeder Hinsicht erleichtert sein, zumal er in der Armee kein hohes Ansehen genoss.

Doch macht ihn dies noch lange nicht zum aussichtsreichsten Thronprätendenten. Putin mag Iwanow auch nur als Kurzstreckenwaffe einsetzen. Nach der Münchner Brandrede des Kremlchefs gegen die USA will dieser mit der Aufwertung Iwanows dem Westen vielleicht nur ein Signal senden: Von nun an werde der militärische Aspekt in Moskaus Politik eine größere Rolle spielen.