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Archiv-Artikel

Autos, Alk, Antiaids

Am Freitagabend wurden zum 21. Mal die queeren, schwul-lesbischen „Teddy Awards“ verliehen. Man feierte sich selbst und die Sponsoren. Helmut Berger beendete dieses Trauerspiel glamourös

VON JAN KEDVES

Zum Hangar 2 des Flughafens Tempelhof gelangt man, indem man vom Haupteingang des Gebäudes links um das Halbrund der Nazi-Architektur herumfährt und noch ein paar dunkle Ecken nimmt. Hier, in einer riesigen Halle, wurden am Freitagabend die 21. Teddy-Awards verliehen. Natürlich ließ sich dabei – Zufall oder Absicht? – eine seltsame Kongruenz zwischen Ort und Anlass feststellen: Über die Zukunft des Standorts Tempelhof wurde in letzter Zeit scharf debattiert, und auch das Bestehen auf der Notwendigkeit eines Filmpreises, der „nur“ in sexueller Devianz gründet, ist eine Position, die mittlerweile des Öfteren in Frage gestellt wird. Könnte es pure Nostalgie sein, die die Weiterexistenz sichern will? Der Flughafen Tempelhof wird bekanntlich bald geschlossen.

Vielleicht gaben sich die Organisatoren der „Teddy“-Gala in diesem Jahr deshalb jede Mühe, die eigene Aktualität herauszukehren. Dies zeigte sich etwa darin, dass die Moderatoren der Gala, Annette Gerlach und Gustav Hofer, gleich mehrmals darauf hinwiesen, dass der „Teddy“ der weltweit einzige im Rahmen eines A-Filmfestivals vergebene queere, schwul-lesbische oder eben LGBT-Filmpreis (LGBT steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender) ist. Das klang beim ersten Mal noch so, als bräuchte die Welt natürlich noch viel mehr solche Preise. Nach der dritten Wiederholung ließ sich dann allerdings mehr Angst heraushören, der Rest der Welt könne bald genauso tolerant sein wie Berlin – was die Selbstverliebtheit erschweren dürfte.

Paradoxien wie diese galt es im Hangar 2 mehrmals auszuhalten. Dieter Kosslick, der große Teddy-Pate, konnte in diesem Jahr nicht dabei sein – angeblich, so die Moderatoren, soll er deswegen geweint haben. Dafür hatte sich die gesamte queere Prominenz der Stadt herausgeputzt: die Schwestern der perpetuellen Indulgenz, Nina Queer, Ades Zabel, Kay Ray und Rosa von Praunheim mit schwarzem Böse-Hexe-Hut – die ganze Folklore war am Start.

„Teddy“-Chef Wieland Speck wies auf der Bühne darauf hin, dass auf der diesjährigen Berlinale zum ersten Mal mehr Filme mit lesbischen als mit schwulen Themen zu sehen waren und ließ es sich bei der Gelegenheit natürlich nicht nehmen, auch noch einmal an die kämpferisch-aktionistischen Zeiten zu erinnern, als er den „Teddy“ ins Leben rief. „Damals hießen Pflastersteine noch Argumente“, erinnerte sich Speck, und während er dies sagte, wurde die Leinwand über ihm mit allerhand bunt sich drehenden Sponsorenlogos bombardiert: Volkswagen, Berliner Pilsner, Durex, Autos, Alk, Antiaids. Ausgezeichnet wurden dann: als bester Dokumentarfilm „A Walk Into the Sea“, ein Film über den amerikanischen Filmkünstler Danny Williams und Andy Warhols Factory; als bester Spielfilm „Spider Lilies“, ein taiwanesischer Film mit lesbischer Thematik; und mit dem Publikumspreis „Tagebuch eines Skandals“, eine Amour foux zwischen einer psychopathischen Lesbe (Judi Dench) und einer pädophilen Lehrerin (Cate Blanchett).

Das Musikprogramm dazu fiel größtenteils gruselig aus. Seinen Tiefpunkt erreichte es mit Übermutter, einem neuen Fetisch-Metal-Projekt von Luci von Org, die sich mit E-Gitarren-Zähnegefletsche und feministisch-agitatorischen Texten vermutlich in die Eva-Herman-Debatte einlärmen will. Nur gut, dass die große Ingrid Carven noch als Überraschungsgast hinter den Kulissen stand, um – im Gedenken an den vor einem Monat verstorbenen Fassbinder-Komponisten Peer Raben – ein fantastisches Chanson-Donnerwetter loszulassen.

Überhaupt schien die diesjährige Teddy-Verleihung immer dann am erträglichsten, wenn man sich nicht an diffizilen Standortbestimmungen der Gegenwart versuchte, sondern entweder erschreckt auf Schwulenhasser in Polen oder Moskau zeigte oder halb romantisierend, halb gemahnend Bezug auf die Vergangenheit nahm. Im Vorfeld schon war ein schöner Wirbel darum entstanden, dass Helmut Berger zum ersten Mal seit 40 Jahren in der Stadt sei, um einen Ehren-Teddy für sein Gesamtwerk entgegenzunehmen.

Und tatsächlich schritt der „Ludwig II“-Star dann in dunklem Anzug, mit hellblauem Schal und roséfarbener Seidenkrawatte in Richtung Bühne. „Ihr müsst verrückt sein“, schnurrte der große Dandy mit gütigem Lächeln – damit meinte er natürlich die Tatsache, dass man ihn überhaupt mit einem Preis bedenken wollte. Die Moderatoren nötigten ihn zu einem Small- bis Nonsenstalk, den der 63-Jährige mit koketter Bescheidenheit meisterte. Dabei hatte allein die Handbewegung, mit der er sich das Blitzlicht der Fotografen von den Augen hielt, mehr Glamour als die ganze Gala zusammen.

Schön gewählt war natürlich der Zeitpunkt seiner Ehrung: Luchino Visconti, Bergers Lover, wäre nächsten März hundert Jahre alt geworden. „1968, als Luchino und ich ‚Die Verdammten‘ drehten, wäre solch ein Preis noch undenkbar gewesen, auch nicht für Pasolini“, schnuddelte Berger zum Abschied und fügte noch hinzu: „Behaltet das.“ Es klang wie ein Befehl. So war – wer hätte es geahnt? – die Teddy-Verleihung plötzlich doch kein Trauerspiel mehr, sondern nur noch ein wahnsinnig toller Abend.