36 Jahre bebender Südosten

Trotz „No Future“ ist die Punklegende SO36 inzwischen so richtig alt . Das wird während einer Festwoche mit Kunst, Schnapsbauchladen und Schleim gefeiert

7. bis 16. August Das ganze Programm mit Lesungen, Konzerten, Partys, Queershow, Gala und hoffentlich auch ein paar Eimern: www.SO36.de

„Es war einmal in grauer Vorzeit, als Straßenbahnen fuhren und Saurier die Welt beherrschten. Damals hatte Volksmusik noch keinen öffentlichen Aufführungsort. Aber dann kam das SO36.“ Mit diesen Worten beginnt der Dokumentarfilm „das war das SO36“ von Jörg Buttgereit und Manfred Jelinski, der 1985, sieben Jahre nach der Eröffnung des SO36, entstand.

Im Film gibt es Konzertausschnitte mit den Neubauten, den Gelbs, den 4 unsichtbaren 5, Soilent Grün, der Tödlichen Doris, Malaria, Stromsperre und dem wahren Heino natürlich. Gäste und Musiker erzählen, wie es war. Von der super verrauchten Luft, den vollgepissten Klos, der „unangenehmen Athmo“. Ratten Jenny, die berühmteste Punkerin jener Zeit, berichtet, wie Polizisten ihre Ratte tödlich verletzt hatten und wie sie einmal in den Boden einbrach. Vermummte Aktivisten des Kommandos „Punker gegen Konsumscheiße“ erzählen, wie sie am Ende der kurzen Zeit, in der der berühmte Maler Martin Kippenberger das SO gepachtet hatte, nach einem „Slime“-Konzert die Kasse klauten.

Die Dokumentation ist sehr schön und antinostalgisch; die Helden sind alle sehr jung und sehen süß aus, wenn sie zwischendurch in einen Eimer kotzen.

2008 gab es eine weitere Doku mit Interviews über das SO. Leute erzählten wie, sie zum ersten Mal hier waren, „vor 23 Jahren in der Volksküche“ oder bei queeren Tanzveranstaltungen. Neben dem Absturzmäßigen, dass in dem Buttgereit/Jelinski-Film dominiert, geht es hier schon mehr um das sozusagen multikulturell Sexuelle, um türkische Muttis, die mit zwei Meter großen Transen tanzen und um das das Gespenst der Gentrifizierung.

Am 11.8.1978 also wurde das SO36 mit dem zweitägigen „MAUERBAU FESTIVAL – Zwei schräge Deutsche Nächte in Süd-Ost“ eröffnet. Angeblich soll David Bowie „im weißen Anzug und mit Sonnenbrille“ bei der Eröffnung gewesen sein, wie die Morgenpost berichtete. Vor 12 Jahren bei Harald Schmidt erinnerte sich der berühmte Popstar an dieses Ereignis. Er selber wäre gar nicht dabei gewesen, aber Iggy Pop: „He came back late night and said, it was amazing. They made a birthday-cake in the shape of the wall. All away round the room. And at midnight they jump at it and ate it. It was the anniversary of the wall. “

Ob David Bowie sich korrekt erinnert, ist allerdings unklar; schließlich meinte er im selben Gespräch auch nicht in Schöneberg, sondern in Charlottenburg gewohnt zu haben. Wie auch immer.

Schnell wurde das SO36 zur Punklegende und gerne immer wieder mit dem berühmten „CBGB“ in New York verglichen. „Seit seiner Gründung ist es dem SO36 gelungen, sich lokal zu verwurzeln, ohne dabei provinziell zu werden. Die Verbinding mit seiner Umgebung stärkt sein Sensorium für globale und aktuelle soziale, politische und künstlerische Entwicklungen. Aus den Intensitäten der sich hier einfindenden multiplen Diasporen entsteht zugleich so etwas wie ein Familiennetz“, schreibt Wolfgang Müller, der mit der „Tödlichen Doris“ hier auch gerne auftrat, in seinem Buch „Subkultur Westberlin“.

Ab Mitte der Neunziger gab es hier jeden Montag auch die „Electric Ballroom“-Technopartys sowie die ersten Berliner Queer-Parties. Das SO36 beteiligte sich an sozialen Protesten wie der Mediaspree-Kampagne.

Zum 30. Geburtstag war das SO36 in seinem Bestehen bedroht; ein Nachbar hatte auf Lärmbelästigung geklagt. In jedem zweiten Laden in der Oranienstraße hing ein solidarisches „SO36 bleibt“-Plakat; Soliveranstaltungen, wie ein Konzert mit den „Toten Hosen“ fanden statt. „Der Veranstaltungsort symbolisiert Kreuzberg, seinen widerständigen Charme, seine Offenheit, wie kein anderer Ort im Kiez“, hieß es in der taz. Eine Mauer, ein „akustischer Schutzwall“ zwischen dem SO und dem angrenzenden Mietshaus, rettete schließlich den Veranstaltungsort. Einen Teil der Kosten für diese Mauer - fast 100.000 € - übernahm der Senat, denn das „SO36 steht für kulturelle und interkulturelle Vielfalt und schafft einen Mehrwert an Lebensqualität in Kreuzberg“, begründete die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Entscheidung.

Vor vier Jahren, nach einem Konzert der berühmten Punkband „Slime“ hatte das SO noch einmal an seine Gründerjahre erinnert. 100 Leute hatten in der Oranienstraße randaliert und Polizisten mit Flaschen und Steinen beworfen. Mittlerweile scheint das Bestehen des SO36 gesichert. Der 36. Geburtstag wird mit einer Festwoche und vielen Veranstaltungen begangen. Was als Punklegende - „no future - now!“ - begann, wird nun wohl ewig währen.

Detlef Kuhlbrodt