: Kaiser Wilhelm und der Mapbus
Wie der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus vom Pforzheimer Abschleppdienst „Auto Gloser“ gerettet wird – vorerst
VON PETER UNFRIED
Und jetzt auch noch eine Atomkatastrophe. Seine Gedanken sind beim japanischen Volk, klar. Aber manchmal fragt Stefan Mappus schon auch: „Was hab ich eigentlich verbrochen?“
Seit er vor etwas mehr als einem Jahr Günther Oettinger als baden-württembergischer Ministerpräsident abgelöst hat, ist er kaum zum Verschnaufen gekommen. Galt wegen seines Vorgehens im Fall des Verkehrs- und Immobilienprojekts Stuttgart 21 zeitweise bereits als erledigter Fall, hat sich zurückgekämpft, schien doch nicht der Mann zu werden, der die CDU Baden-Württemberg nach 57 Jahren aus der Macht führt. Und dann kommt ein Tsunami in Japan und demonstriert, dass Sicherheit im Zusammenhang mit Atomkraftwerken ein relatives Wort ist.
Da hat es keinen der Journalisten an Bord mehr gewundert, dass der Wahlkampfbus des Ministerpräsidenten am Montag in Mappus’ Wohnort Pforzheim liegen bleibt. „Der Mapbus“ – offenbar ein Wortspiel – ist beim Rückwärtseinparken hinten aufgesessen.
Die Helfer von der Jungen Union geben ihr Bestes, aber erst als der Abschleppdienst von „Auto Gloser“ kommt, kann es weitergehen. Mappus, 44, steigt an einer Autobahnraststätte zu, greift wie ein Reiseleiter nach dem Mikro, verschätzt sich erstmal mit der Lautstärke und kommt etwas brüllig rüber. Im Gespräch ist er dann sehr moderat.
Manchmal kichert er
Atom, Atom, er am Ende? Ach, wir Journalisten hätten ihn doch schon zweimal beerdigt. Wir sollten es doch erscht mal abwarda. Er lacht viel und offenbar gern. Wenn er sich richtig amüsiert, kichert er.
In Schriesheim im Rhein-Neckar-Kreis an der badischen Bergstraße wird Mappus von drei Weinköniginnen mit ihrem schönstem Lächeln und fünfzehn Atomkraftgegnern mit „Abschalten“ und „Mappus weg“-Chören empfangen. Eine Golden-Agerin auf dem Fahrrad regt sich furchtbar über die protestierenden Bürger auf. Sie sollen doch nach Hause gehen. „Du verreckst auch, wenn das hier explodiert“, ruft ein Mappus-Gegner aufgewühlt. Die alten Ängste sind zurück. Schriesheim liegt nicht nur richtig idyllisch, es liegt auch nicht sehr weit weg vom AKW Philippsburg.
Es ist Montag, früher Abend. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat soeben die von Union und FDP beschlossene Laufzeitverlängerung für drei Monate ausgesetzt.
Da Mappus seit dieser auch innerparteilich umstrittenen Verzögerung des rot-grünen Atomausstiegs als führender Atomfan der Union wahrgenommen wird, hat er nun ein weiteres Problem. Damals nannte er die Versuche von Umweltminister Norbert Röttgen, die Union von ihrem negativen „Alleinstellungsmerkmal“ Atomkraft wegzubringen, „Eskapaden“. Merkel wies er an, sie solle Röttgen „zurückpfeifen“. Gar nicht davon zu reden, dass er für fünf Milliarden Euro grade – und nach Ansicht der Opposition am Parlament vorbei – den Atomstromkonzern EnBW zurückgekauft hat. Dessen Wert ist auch von der Restlaufzeit abhängig, was die Sache doppelt schwierig für Mappus macht.
„Ergebnisoffen“
Die Demoskopen spekulieren, dass die ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit zurückgekehrte Atomfrage die zuletzt stark sinkenden Umfragewerte der Grünen wieder nach oben bringen könnte und seine steigenden nach unten. Wie kommt er da raus? Sein Kommunikationsteam hat eine Formel entwickelt, die er an diesem Tag ein ums andere Mal ausprobiert. „Ich war ein Anhänger der Laufzeitverlängerung“, lautet sie, „und stehe deshalb nun besonders in der Pflicht.“ Er sagt nicht mehr „ich bin“, er sagt seit heute „ich war“. Er hat eine Kommission eingesetzt, das ist immer gut. Er will während des Moratoriums „ergebnisoffen“ diskutieren.
Am Dienstagnachmittag hat er eine Sondersitzung des Landtags zur Zukunft von Neckarwestheim I und der anderen baden-württembergischen Atomkraftwerke ansetzen lassen. Bevor jemand anders auf die Idee kam. Erneuerbare Energien? Sehr gern, sagt er. Aber Baden-Württembergs Strom kommt zu über 50 Prozent aus seinen Atomkraftwerken. Und aus seiner Sicht ist es so, dass die Grünen immer nur wohlfeil vom Ausstieg reden, während er die Arbeit machen soll. Die Grünen hat er aufgeteilt in Winfried Kretschmann und den Rest. Der Spitzenkandidat ist ein ehrenwerter Mann, fast wie einer von der CDU. Über Boris Palmer, Cem Özdemir und den Rest kann er das leider nicht sagen. Die Abneigung ist nicht gespielt.
Seit der Erfolg von Heiner Geißlers Stuttgart-21-Gesprächen auch sein Erfolg war, hat er sein früheres Konfrontationsmodell des Fehdehandschuhs und der Wasserwerfer überarbeitet und lauscht sensibel der gesellschaftlichen Stimmung hinterher. Beziehungsweise voraus. Damals hat er einen Klassiker geprägt, den er auch an diesem Montag grinsend bemüht: „Alle an den Tisch, alles auf den Tisch“.
Atom zügig abgehandelt
Bei seinen Wahlkampfreden wird das Thema Atomkatastrophe und die Folgen ganz nach oben gesetzt. Und nachdenklich, aber zügig abgehandelt. Im Hauptteil beschäftigt er sich dann ausgiebig mit der großen Erzählung der CDU Baden-Württemberg, das ist die singuläre Erfolgsgeschichte dieses Bundeslandes durch 57 Jahre CDU-Regierung. Kurzform: Früher aufgestanden, härter und schlauer gearbeitet, besser gespart als der Rest.
In Schriesheim im Göggelesmaier-Zelt spricht er vor etwa 1.500 Mittelständlern, später in der Limpurghalle in Gaildorf vor etwa 500 Bürgern. Beides sind CDU-Wahlkreise, was auch sonst – 69 von 70 Wahlkreisen hat die CDU zuletzt mit dem Spitzenkandidaten Oettinger gewonnen. Diesmal könnte nicht nur der klassische Arbeiterkreis in Mannheim an die SPD, sondern mehr als eine Handvoll an die Grünen verloren gehen, allerdings nicht auf dem Land, sondern in Stuttgart und den Universitätsstädten. Die Grünen sind in Mappus’ Wahlkampfwelt deutlich präsenter als die SPD. In Gaildorf erzählt er, dass Kaiser Wilhelm das Automobil kleingeredet und darauf bestanden habe, dass die Zukunft dem Pferd gehört.
Wie kommt er da jetzt zu den Grünen?
So: „Der wäre heute ein gefeierter Redner auf einem Grünen-Parteitag.“
Während vor der Halle an die 100 Gegner von Stuttgart 21 „Lügenpack“ rufen, wird drinnen auch der umstrittene Tiefbahnhof schnell abgehandelt. Lieber schmettert er die Superlative und die Erfolgszahlen in die Halle. „Baden-Württemberg“ ruft er, „Baden-Württemberg“ und nochmal „Baden-Württemberg“. Intellektuelle Anwandlungen spart er sich. Kurz vor der Nationalhymne werden noch die Abzockerländer gescholten, die auf Kosten der fleißigen Baden-Württemberger leben. Das sind im Grunde alle anderen außer Bayern, aber vor allem die SPD-regierten. Das kommt bei den Leuten gut an. Da kriegt er immer den meisten Beifall. Ansonsten ist es etwas still, was auch daran liegen mag, dass Mappus kein Franz Josef Strauß ist, was das Reden angeht. Er leiert.
Am Ende stehen die vorderen Reihen auf, Mappus isst einen Wurstsalat mit dem örtlichen Landtagskandidaten und gibt ein Interview fürs „heute journal“ zu der Atomfrage. Im Mapbus lässt er sich als erstes das iPad geben, um zu schauen, wie die Lage jetzt ist. Weiter ernst. Während in Baden-Württemberg die Lichter ausgehen und die Menschen sich zur Ruhe betten, entwirft der Politiker Stefan Mappus – jetzt wieder leise und den Umständen entsprechend heiter – ein Bild von sich: Auch wenn das Schicksal sich gegen ihn verschworen hat, er wird sein Ding gewinnen.