Billy the Wirt

Wandern ist in – und man lernt unterwegs die seltsamsten Wirtsleute kennen

Schon die Telefonauskunft des Fremdenverkehrsvereins war widersprüchlich: Übernachten könne man wohl schon noch im „Jägerhof“, auch wenn er eigentlich seit Jahren geschlossen habe. Und auch die Antwort der rüstigen Radlerin, die sie der Wandergruppe am Dorfrand gab, klang alarmierend: „Wat? Da wolln Sie wirklich hin? Der hat doch zu. Der reitet doch bloß noch mit dem Hut und seinem orangen Gaul durchs Dorf!“

Fünf Minuten später standen zehn Wanderer vorm voll erleuchteten „Jägerhof“ und wurden schon draußen per Handschlag einzeln begrüßt: „Ich bin der Billy, Jungens! Dat merkt euch schommaa. Und zwar der Onkel Billy. Wir sind hier eine große Familie, die gerne mit die Pferde unterwegs is, und ich mach auch noch die Jachd im Dorf. Dat is der Horst, dat die Sibylle, und dat is meine Frau. Ihr esst doch alle mit, oder?“

Verwirrend viele Einzelheiten trommelten auf die Wanderer ein, die noch dabei waren, die Rucksäcke von den Schultern zu ruckeln. Nachdem ihnen aber allen ein erstes Schwarzbier zum familiären Freundschaftspreis hingestellt worden war, lichtete sich das Verständnisdunkel. Seit seinem siebzehnten Lebensjahr hatte der Billy hinter der Theke gestanden, war nun aber Rentner und die Wirtschaft abgemeldet. Jetzt wollte er quasi außer Konkurrenz nur noch für seine Freunde und Verwandten da sein – und davon hatte er eine ganze Menge: „… bis ins Ruhrgebiet und hoch nach Westfalen. Hier das sind die ‚Haflingerfreunde Bielefeld‘. Dat sind mir die liebsten! Da stimmt die Losung: ‚Mein Freund, der Haflinger!‘ Aber dat eine gilt für alle! Wemma Kontrolle is: immer schön Onkel Billy zu mir sagen! Eben wegen die Freundschaftspreise und die Verwandtschaft von uns allen.“

Aber Onkel Billy kannte nicht nur Verwandte. Er kannte auch den dunklen Wald mit den dort lauernden Gefahren. Das Schwarzwild sei unberechenbar, besonders wenn es aus dem Hessischen herüberwechsle. „Aber wat so ein Haflinger is, der leuchtet in der Dunkelheit, und dat hat die Sau nich gerne! Aber halt! Dat beste kommt ja noch. Moment, ich hol mal die Sachen …“

„Billy, lass doch …“, wollte ihn seine Frau noch stoppen, aber da hatte er den Pistolengürtel schon um die Hüfte gespannt und legte uns die Waffe auf den Tisch: „Nee, muss sein, Mutti! Damit die jungen Kerle mal sehen können, wat Sache is. Ach Moment, ich hab ja noch gar nicht meinen Hut dabei. Hut is nämlich dat Wichtigste beim Schießen!“ Und Billy lief, einen schwarzen Westernhut zu holen, den er mit fünf knappen, stolzen Worten neben den glänzenden Trommelrevolver legte: „Gary Cooper sein Filmhut, Privatbesitz! Zwar noch nicht der aus ‚12 Uhr mittags‘, aber später die Filme.“ Und wieder sprang er auf: „Wisst ihr wat! Ich hol sie! Ich mach euch das mal vor!“ Aber seine Frau hielt ihn zurück: „Billy! Erzähl’s doch einfach. Mach doch den Fernseh mit dem Video dran nich wieder kaputt!“

Und Billy beschrieb, wie er vor den Klassikern der Filmgeschichte das Duellieren gelernt und sie mittlerweile alle im Sack habe: Lee van Cleef, John Wayne, Charles Bronson – einfach alle, die sich im Film auf eine Kamera zubewegt hatten und auf die Kugeln der Widersacher warteten. „Sogar wenn das im Film die Guten waren und nur als Zweite schießen durften, bin ich vorm Fernseh immer noch besser als der Gute und der Bösewicht zusammen. Bei mir käm’ keiner lebend aus der Glotze raus!“

Die Munition steckte zum Glück nicht in der silberglänzenden Sixgun. Die Patronen lagen friedlich neben dem Revolver. Ein rascher Blick entlang der Thekenwände fand keine Einschusslöcher. Bedroht waren wohl wirklich nur die echten Kinohelden und das Niederwild im nahen Wald. Das unverschämte hessische. Aber so schnell Onkel Billy auch ziehen mochte, seine Zapfgeschwindigkeit litt doch sehr unter seinen Wildwestgeschichten.

REINHARD UMBACH