Die Betroffenheit ist echt

Grüne suchen nach dem richtigen Ton für die Atomkatastrophe

VON SVENJA BERGT

Wenn Parteipolitiker von Betroffenheit reden, ist Misstrauen angebracht. Zu oft wird Mitgefühl ausgedrückt, wo keines ist, wird Anteilnahme nur geheuchelt und Sympathie nur bekundet. Hinter den warmen Worten verbirgt sich ein durchsichtiges Spiel: Menschlich will man scheinen, fähig, Trauer zu empfinden und Emotionen zu zeigen.

Doch wer in diesen Tagen mit überzeugten Atomkraftgegnern spricht, erlebt schon mal, dass der Gesprächspartner auf einmal in Tränen ausbricht. Weil die Geschehnisse in Japan so unfassbar sind, weil das Gefühl der Hilflosigkeit sich nicht mehr bewältigen lässt, weil die Angst, dass so etwas jederzeit auch hier passieren kann, auf einmal ganz präsent ist. Obwohl sie die ganze Zeit gewusst haben, dass etwas passieren kann – oder gerade deswegen –, reagieren sie weit emotionaler auf die atomare Katastrophe als Menschen, die der Atomkraft unkritisch oder positiv gegenüberstehen.

Geläutert fühlen

Möglicherweise liegt es daran, dass ihre Hilflosigkeit noch ein Stück größer ist. Sie können auf die Straße gehen, sie können Protestbriefe unterschreiben, Castortransporte blockieren. Aber das ist nichts anderes als das, was sie schon die vergangenen Jahre und Jahrzehnte getan haben. Im Unterschied zu den Atomkraftbefürwortern. Sie können ihre Meinung ändern, sich geläutert geben. Und waschen damit ihr Gewissen rein.

Man darf den Grünen daher glauben, dass die Geschehnisse für sie noch zu frisch sind, um sie auf abstrakter, rationaler Ebene zu diskutieren. Viele müssen erst einmal damit klarkommen, dass der mögliche Ernstfall nun eingetreten ist. Man muss sich aber auch fragen, für wen von denen, die jetzt sofort die Fahnen rausholen, nicht doch die Umfragen vor der Sache stehen.

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