Ein Provokateur über den Tod hinaus

Gestern wurde Maurice Papon, der 1942 bis 1944 Juden aus Bordeaux deportieren ließ, beerdigt. Seine Auszeichnung der Ehrenlegion, die ihm aberkannt wurde, nahm er mit ins Grab. Politiker und Angehörige von Opfern sind empört

Papon bekam zehn Jahre Haft. Nach drei Jahren war er wieder auf freiem Fuß

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

„Légion d’honneur“ heißt die Auszeichnung, die Maurice Papon bis zum Schluss seines 96-jährigen Lebens trotzig am Revers getragen hat. Gestern ist der einstige Spitzenbeamte, der von 1942 bis 1944 die Judendeportationen aus Bordeaux organisiert hat und dafür ein halbes Jahrhundert später verurteilt worden ist, in Gretz-Armainvilliers beerdigt worden.

Sein Anwalt sorgte dafür, dass der Sticker mit in den Sarg kam. Trotz der Proteste von Angehörigen von Papons Opfern. Und trotz der großen Empörung, die verschiedene Regierungsmitglieder in den vergangenen Tagen öffentlich geäußert hatten.

„Verhindern Sie diese Provokation“, flehte Michel Slitinsky die „höchsten französischen Autoritäten“ an. Der Sohn von Juden, deren Deportation Papon organisiert hatte, kämpfte jahrelang für das Zustandekommen des Prozesses gegen Papon. Sein letzter Appell an die französischen Behörden sollte verhindern, dass der kleine blaue Sticker mit in den Sarg von Papon kam. Michel Zaoui, ein Anwalt der Opfer, sprach von einer „erbärmlichen posthumen Revanche Papons“.

Mehrere Regierungsmitglieder in Paris erinnerten daran, dass Papon kein Recht mehr hatte, den Sticker öffentlich zu tragen. Die rechte Verteidigungsministerin und die ehemalige sozialistische Justizministerin empörten sich über den Affront.

Der Orden war Papon im Jahre 1999 aberkannt worden. Wenige Monate zuvor hatte ein Schwurgericht in Bordeaux ihn als einzigen französischen Spitzenbeamten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Papon bekam zehn Jahre Haft. Doch schon nach drei Jahren war er wieder auf freiem Fuß. Angeblich aus gesundheitlichen Gründen.

Immer wieder zeigte sich der alte Mann seither – in einem Zustand von ausgezeichneter Gesundheit – in der Öffentlichkeit. Oft mit seinem Orden am Revers. Die beiden Verurteilungen zu Geldstrafen von je 2.500 Euro, die er jeweils aus diesem Grund erhielt, beeindruckten ihn nicht.

Gestern erklärte Papons Anwalt Francis Vuillemin, dass seinem Mandanten zwar das Tragen des Ordens in der Öffentlichkeit verboten worden sei, jedoch nicht im Tode. „Der Sarg“, so Vuillemin, „ ist der privateste Ort überhaupt.“

Papon hatte seine Karriere während der „nationalen Revolution“ von Vichy begonnen. Nach dem er die Judendeportation organisiert hatte, schlug er sich 1944 kurz vor der alliierten Landung auf die Seite der Résistance. Nach Kriegsende diente er in der Kolonialverwaltung in Algerien und Marokko.

In den Sechzigerjahren war er Polizeipräfekt von Paris, wo er im Oktober 1961 die brutalste Repression der Nachkriegszeit mit mehreren hundert Toten organisiert hat. In den Siebzigerjahren wurde er Haushaltsminister unter der Regierung von Giscard d’Estaing. Bevor es endlich zu einem Prozess gegen ihn kam, verging mehr als ein Jahrzehnt. Dieses war von zahlreichen Blockaden in Justiz und Politik gezeichnet.

Nun, da Maurice Papon unter der Erde ist, steht demnächst eine weitere Provokation von ihm bevor: Am Ende seines langen Lebens verfasste er eine Autobiografie. Darin beschreibt Papon seine Begegnungen mit den Mächtigen seiner Zeit. Darunter befinden sich neben sämtlichen französischen SpitzenpolitikerInnen auch internationale Größen wie John F. Kennedy, Nikita Chruschtschow und Menachim Begin.

Außerdem wiederholt Papon in dem Buch, für das sich bereits ein Verleger gefunden hat, seine Anschuldigung gegen den gegenwärtigen französischen Staatspräsidenten. Jacques Chirac, so lautet der Vorwurf des Exgeneralsekretärs für „Judenfragen“, habe „eine Schleuse“ geöffnet, als er 1995 anerkannte, was vor ihm sowohl Charles de Gaulle als auch François Mitterrand hartnäckig geleugnet hatten: dass der französische Staat eine Mitverantwortung bei der Deportation von Juden aus Frankreich habe.

meinung und diskussion SEITE 11