: W-w-w-as gibt’s denn heute?
ESSEN ONLINE Nix außer Nerds, die Fastfood am Rechner runterschlingen? Von wegen: Kulinarischer Genuss kann sich auch dank Internet entfalten. Eigentlich ist es wie früher, nur besser: Der angeregte Austausch macht’s
■ Berliner Restaurants & Co: berlinfoodblog.wordpress.com, reified.typepad.com/reified, www.thewavingcat.com/2009/05/27/berlin-munchies-new-berlin-food-blog
■ Berliner Supperclubs (u. a.):groonsaken.wordpress.com, theshychef.wordpress.com, loteriasupperclub.blogspot.com
■ Foodblogger mit Buch: www.anonymekoeche.net, www.deliciousdays.com
■ Junge Winzer: www.traubenreich.eu, Fr. 12–19 Uhr am Arconaplatz, Sa. 9–15 Uhr am Arnswalder Platz
VON SIBYLLE MÜHLKE
Seit 20 knapp Jahren erleichtert uns das Internet Alltag und Arbeit. Wer es benutzt, weiß nicht mehr, „wie das früher alles ohne ging“, und flucht gleichzeitig darüber. Gründe gibt es genug. Die allfällige Anonymität und die räumliche Distanz zum Nächsten provozieren grobe Pöbeleien ebenso wie privateste Bekenntnisse. Informationen und Gerüchte lassen sich oft nicht unterscheiden, soziale Interaktion und Werbung auch nicht immer. Das Mitmach-Web 2.0 ist von Marketingstrategen unterwandert. Im Zweifelsfall ist jeder, der sich im Web herumtreibt, „Zielgruppe“. Man kann 672 „Freunde“ haben, die meisten davon trifft man jedoch nie. Immer die gleiche kleine Fingerbewegung führt uns zu Konsumverlockungen, bringt uns zu anderen Menschen und in fremde Länder. In der Welt hinter dem schwach leuchtenden Bildschirmviereck ist alles nivelliert.
Wie passt kulinarischer Genuss in diese entpersonalisierte, abstrakte Welt? Erstaunlicherweise sehr gut. Wenn’s um Essen geht, erfüllt das Internet viele der Versprechungen aus seinen Anfangstagen. Dann ist es ein Ort der unverstellten Kommunikation und verbindet Menschen durch mehr als einen Buttonklick. Es ist Inspiration und verlässlicher Wissensfundus. Es ermöglicht idealistische kleine Projekte, ist Vertriebsweg für Nischenprodukte und steht so für kulinarische Vielfalt und Unabhängigkeit von Lebensmittelmultis.
Dass das kulinarische Web eine besondere Qualität hat, liegt an seinen Protagonisten, den netzaktiven Gourmets. Über die gemeinsame Leidenschaft für gutes Essen finden sie schnell zueinander – und über ihre Blogs. Dort zeigen sie, was die heimische Küche hergibt. Der Anspruch reicht von bodenständig bis sternverdächtig. Viele der Berliner Foodblogs protokollieren Restaurant- und Imbisserlebnisse. In jedem Fall werden Erfahrungen bereitwillig geteilt, der Umgang miteinander ist angenehm unborniert. Auch die Starblogger, von denen einige inzwischen sogar eigene Kochbücher veröffentlichen, beantworten liebenswürdig jeden Blogkommentar.
Was macht Foodblogs so attraktiv? Sie sind mehr als Kochanleitungen, sie haben eine persönliche, authentische Stimme. Berichtet wird von Kochtriumphen und -disastern, von kulinarischen Ausflügen und neuen Küchengeräten. „Foodblogs sind das echte Leben“, sagt Natalie Simons, die in ihrem Blog „Pastasciutta“ leckere Alltagsküche zeigt, „da präsentieren sich die Leute unverfälscht“. Die Kontakte bleiben nicht virtuell. Es gibt auch Bloggertreffen: „Was da für tolle Leute sind, das hat mich umgehauen“, schwärmt Simons. Wer gern gut isst, ist gesellig.
Die geheimen Supperclubs erweitern das Konzept „Freunde bewirten“. Sie sind eine Mischung aus Restaurant und Privatessen: Ambitonierte Amateurköche öffnen in regelmäßiger Frequenz ihre Wohnung für Gäste und servieren dort selbst gekochte Delikatessen – gegen Geld. In Berlin gibt es eine Handvoll solcher Piratenrestaurants.
Die wichtigste Plattform, um die klandestine Schlemmerei ins Werk zu setzen, ist das Internet: zum Aufspüren der Clubs, für Menüvorschau, Dankesnoten und die Anmeldung. Die ist wichtig – nur angemeldete Gäste erhalten die genauen Instruktionen zur Anfahrt. Für manche Köche werden ihre Clubs das Sprungbrett zum richtigen Restaurant – so ging das „Little Otik“ in der Graefestraße aus dem Palisaden Supper Club hervor.
Mit Blogs nutzen Foodies neue Interaktionswege. Doch das Web verändert auch die Art und Weise, wie traditionelle Geschäftszweige agieren. Etwa beim Weinhandel. Der ist bisher ohne Laden, ohne Plausch und Verkostungsrunde mit dem Händler, kaum vorstellbar.
NATALIE SIMONS, BLOGGERIN
Der Berliner Daniel Stevens von „Traubenreich“ hat auf ein Ladenlokal ganz verzichtet. Er ist Spezialist für deutschen Wein von jungen Winzern – spannende Weine, die sonst kaum zu bekommen sind. Noch steht Stevens auch auf zwei Märkten, er setzt aber aufs Internetgeschäft. „Der Transfer eines Genussartikels in den elektronischen Raum ist anspruchsvoll“, sagt er. Mit seinen griffigen Weinbeschreibungen und monatlich wechselnden Winzerporträts kann er seine eigene Begeisterung für die Weine vermitteln: Die Leute finden ihn im Web und bestellen.
So öffnet das Internet den Gourmets neue Bezugsquellen, auch für ausgefallene lokale Produkte, die es nie in ein Supermarktregal schaffen.
Food und Internet – das ist viel mehr als der ungesellige Computernerd, der seine Bestellpizza vor dem Monitor verschlingt. Also: ran an die Tasten und an die Kochlöffel!