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Archiv-Artikel

Bomber gegen Genozid

IRAK US-Präsident schickt Kriegsflugzeuge, die Islamisten im Nordirak angreifen. Er wolle damit einen drohenden Völkermord an den Jesiden verhindern, sagt Obama

Konfliktlage im Irak

■ Islamisten: Die Terrormiliz IS, der vor allem Sunniten angehören, war zunächst aus Syrien kommend Richtung Süden zur irakischen Hauptstadt Bagdad vorgerrückt. In den letzten Tagen hatte sie dann auch Gebiete im Nordirak erobert, in denen viele Christen und kurdische Jesiden leben.

■ Christen: Rund hunderttausend Menschen sind aus den christlichen Gebieten um die historischen assyrischen Orte Karakosch und Tal Kaif geflohen.

■ Jesiden: Rund 50.000 kurdische Jesiden sind bei mehr als 40 Grad im Sindschar-Gebirge von der Außenwelt abgeschnitten. Jesiden sind wie die Sunniten Muslime, glauben aber nicht nur an den einen Gott, sondern auch an Engel, an die Sonne, die Natur, an den freien Willen und an das Gute im Menschen. Der „Engel Pfau“ (Tausi Melek), den Jesiden besonders verehren, ist nach Meinung von radikalen Islamisten das Böse. Daher bezeichnen IS-Terroristen Jesiden als „Teufelsanbeter“.

■ Kurden: Die Eroberung der Jesidenhochburg Sindschar gilt als die erste große Niederlage der kurdischen Armee gegen IS-Kämpfer. Doch die Peschmerga schlagen bereits zurück – jetzt mit Unterstützung der US-Luftwaffe.

sonntaz SEITE 28

AUS NEW YORK DOROTHEA HAHN

Seit Freitag fallen wieder US-Bomben auf den Irak. Das erste Ziel der US-Kriegsflugzeuge war – laut Pentagon – eine „mobile Artillerie“ des auf die kurdische Stadt vormarschierenden „Islamischen Staats“. US-Präsident Barack Obama hatte am Donnerstagabend „begrenzte Militärschläge“ sowie „humanitäre Abwürfe“ im Irak angekündigt.

Obama begründete das Eingreifen einerseits mit einem unmittelbar drohenden „Genozid“, andererseits mit Bedrohungen für diplomatisches und militärisches US-Personal im Konsulat von Erbil. Und er wies darauf hin, dass der Irak die USA um Hilfe gerufen habe. Obama, der ursprünglich angetreten war, die US-Truppen aus dem Irak abzuziehen, wird damit zum vierten US-Präsidenten in Folge, der Krieg im Irak führt.

Letzter Auslöser war die Flucht von 50.000 Angehörigen der jesidischen Minderheit – nach anderen Angaben sind es bis zu 150.000 – vor der heranrückenden islamistischen IS in das Sindschar-Gebirge. Das baum- und wasserlose Massiv, in dem die Temperaturen nachts tief sinken und tagsüber auf bis zu 40 Grad steigen, ist von der IS belagert. Die Islamisten hatten ihre Absicht verkündet, die Jesiden zu „zerstören“.

Schon im Juni hatte die von den USA ausgebildete und ausgerüstete irakische Armee zahlreiche Positionen kampflos in die Hände der IS fallen lassen. In den letzten Tagen hatten auch die kurdischen Selbstverteidigungskräfte immer mehr Positionen gegenüber der IS verloren. In Washington galt die kurdische Selbstverwaltung politisch wie militärisch bis zuletzt als stark.

In dem belagerten Sindschar-Gebirge sollen bereits Dutzende von Kindern verdurstet sein. In seiner Ansprache beschrieb Obama in dramatischen Worten die „Barbarei, Massenhinrichtungen und Versklavungen von jesidischen Frauen“ durch die IS. „Die USA können nicht jedes Mal eingreifen, wenn auf der Welt eine Krise ist“, sagte er. Jetzt aber müssten die USA handeln: „Wenn wir eine Situation wie jetzt in diesem Gebirge haben – mit unschuldigen Menschen, die Gewalt in schrecklichem Ausmaß ausgeliefert sind – und wenn wir ein Mandat haben, zu helfen – in diesem Fall eine Anfrage der irakischen Regierung –, und wenn wir die Möglichkeit haben, ein Massaker zu verhindern, dann glaube ich, dass die USA nicht weggucken können. Wir können handeln, sorgfältig und verantwortlich, um einen potenziellen Genozid zu verhindern“.

Am selben Donnerstag, während Obama mit seinem Nationalen Sicherheitsrat über die Bombardements im Irak beriet, stimmte der Weltsicherheitsrat einstimmig für eine Resolution, die zur humanitären Hilfe für die jesidischen Flüchtlinge aufruft.

In Washington entschied das Weiße Haus allein. Obama konsultierte den Kongress nicht. Stichworte in Obamas Ansprache wie „Terroristen“, der Hinweis auf Bedrohungen für US-Bedienstete in Erbil und der Verweis auf einen unmittelbar drohenden „Genozid“ haben vermutlich die Funktion, den Alleingang des Weißen Hauses innenpolitisch abzusichern. International war der konservative australische Regierungschef Tony Abbot einer der Ersten, der Obama seine Unterstützung zusicherte.

In den USA sind nach Umfragen mehr als drei Viertel der Menschen prinzipiell gegen ein neues militärisches Eingreifen im Irak. Hinzu kommt die Kritik, dass es keine US-amerikanische militärische Lösung im Irak geben könne. Eine Position, die auch Obama immer wieder geäußert hatte. In der konkreten gegenwärtigen Lage fügen KritikerInnen hinzu, dass die USA jetzt ausgerechnet Nuri al-Maliki unterstützen. Washington hatte die korrupte und zahlreiche Bevölkerungsgruppen von der Macht ausgrenzende Politik des bisherigen – und mutmaßlich künftigen Premierministers im Irak – als zentralen Teil des Problems betrachtet, das das Erstarken der IS ausgelöst hat. Aus anderen Kreisen kommt die Kritik, dass die USA militärisch eingreifen, wenn nichtmuslimische Minderheiten angegriffen werden.