: „Menschenrechte sind nicht mehr in Mode“
Seit 9/11 wird wieder ernsthaft über Folter debattiert – und wer auf Menschenrechten beharrt, gilt schnell als Störenfried. Aber es gibt auch Positives: Die Todesstrafe ist weltweit auf dem Rückzug, so Barbara Lochbihler von ai
taz: Frau Lochbihler, morgen ist der Tag der Menschenrechte. Alle Menschenrechtsorganisationen klagen, dass seit dem 11. September 2001 die Lage für Menschenrechtsverteidiger schwieriger geworden sei. Stimmt das?
Barbara Lochbihler: Menschenrechtsverteidiger weisen in der Regel auf einen Missstand hin. Immer mehr Regierungen gehen mit dieser Kritik so um, dass sie die Menschenrechtsverteidiger selbst als Sicherheitsrisiko darstellen. Sogar Menschenrechtsverteidiger in Lateinamerika – wo Terrorbekämpfung kein Topthema ist – werden in den Medien so dargestellt, als sei ihre Kritik schon eine Gefährdung der Sicherheit.
Gilt das nur für Dritte-Welt-Länder?
Nein. Aber im Süden haben wir das Phänomen, dass Regierungen kleinerer Staaten, die ohnehin einen repressiven Umgang mit Opposition pflegen, das Antiterrorthema ausnutzen, weil sie wissen, dass von den Großmächten, etwa den USA, keine Kritik mehr kommt, wenn sie ihre Unterdrückung als Antiterrormaßnahmen verkaufen.
Und in der EU?
Da haben wir das Problem, dass zum Beispiel Großbritannien sehr viel von der Rechtsauffassung der USA übernommen hat, die zum Beispiel mit Staaten Abkommen eingehen, die internationales Recht aushebeln – wenn etwa mit dem Folterstaat Jordanien ein Abkommen über die Abschiebung einer Person geschlossen wird, der dann nicht die Folter drohen würde. Da wird ein Grundprinzip aufgegeben.
Gibt es denn in der EU flächendeckend eine Aushöhlung von Menschenrechtsprinzipien – oder nur in wenigen Ländern?
Großbritannien prescht vor. Aber die Debatte darüber, ob man nicht das Folterverbot relativieren müsse, um eine vermeintliche Gefahr abzuwenden, wird überall geführt, auch in Deutschland.
Gibt es ein EU-Staat, der gegen solche Aushöhlungen immun ist?
Sicherlich würden alle Länder von sich selbst sagen, dass sie gegen die Abschaffung des Folterverbots sind. Aber absolut immun ist kein Land, nicht einmal Skandinavien.
Sehen Sie Unterschiede in der Wertschätzung von Menschenrechten zwischen den alten und den neuen EU-Mitgliedern?
Sicher gibt es in Polen einen anderen Umgang mit bestimmten Rechten, etwa denen von Lesben und Schwulen. Auch in Westeuropa ist der Umgang mit Roma und Sinti zu kritisieren, aber in Ungarn oder der Slowakei ist er noch deutlich schlechter. Übergreifend in Ost und West aber sind Diskriminierung und Rassismusprobleme, die nicht thematisiert werden. Alle EU-Länder verorten Menschenrechtsprobleme eher außerhalb der Europäischen Union.
Thema Todesstrafe: In Polen gab es lautstarke Forderungen, für bestimmte Delikte die Todesstrafe wiedereinzuführen, und das Saddam-Urteil wurde von einigen europäischen Regierungschefs begrüßt. Steht die europäische Bastion gegen die Todesstrafe noch?
Ich glaube schon. Das ist Teil der Kopenhagener Kriterien, und die sind nicht so einfach interpretierbar. In der Öffentlichkeit kommen solche Forderungen immer mal wieder hoch, aber der weltweite Trend geht zur Abschaffung der Todesstrafe und nicht umgekehrt.
Die rot-grüne Regierung war 1998 mit dem Ziel einer menschenrechtsorientierten Außenpolitik angetreten. Haben die Berichte über Fälle wie Murnat Kurnaz oder Khalid al-Masri dieses Bild nachhaltig beschädigt?
Ja, sicher. Was wir jetzt über die Beteiligung der Geheimdienste in einigen Fällen und über das Wissen der Regierung in anderen erfahren haben, ist unglaublich. Aber auch in der Außenpolitik, etwa mit China: Da hat der Außenminister stets recht differenziert Probleme angesprochen – das Kanzleramt aber immer das genaue Gegenteil behauptet. So musste bei den Chinesen der Eindruck entstehen, dass die Deutschen selbst nicht wissen was sie wollen. Da gibt es heute mehr Konsistenz: Die Kanzlerin spricht auf ihren Reisen das Thema Menschenrechte immer öffentlich an. Was bei beiden Regierungen fehlt, ist die querschnittmäßige Verankerung der Menschenrechte in allen Bereichen der Politik. Wir vermissen zum Beispiel noch immer, dass das Verteidigungsministerium einen Menschenrechtsbeauftragten einsetzt.
Was sollte der tun?
Der muss prüfen, ob die Arbeit mit den menschenrechtlichen Grundsätzen übereinstimmt. Er muss die Führung und die Schulung der Soldaten überprüfen und Verbesserungen einfordern. Im Justizministerium gibt es so etwas, im Innenministerium fehlt er.
Im Auswärtigen Amt gibt es seit 1998 einen Menschenrechtsbeauftragten – aber hat der nicht eher eine Alibifunktion und bleibt stets außen vor, wenn es wichtig wird?
Wenn er der einzige wäre, der Menschenrechtsanliegen vertritt, würde das stimmen. Aber in unseren Arbeitsbeziehungen mit dem Auswärtigen Amt ist er eine Verstärkung.
Es gibt in Deutschland seit 2002 das Völkerstrafgesetzbuch, das es ermöglicht, schwere Menschenrechtsverbrechen auch dann in Deutschland vor Gericht zu bringen, wenn weder Täter noch Opfer Deutsche sind. Bis jetzt ist das Gesetz noch nie angewandt worden, nicht einmal, als sich der usbekische Innenminister Almatow, verantwortlich für das Massaker von Andischan, zu einer medizinischen Behandlung in Deutschland aufhielt. Ist das Gesetz zahnlos?
Das Gesetz ist eigentlich sehr gut, aber es wird unglaubwürdig, wenn es nicht angewandt wird. Die Begründung im Fall Almatow, man werde voraussichtlich keinen Erfolg haben, war hanebüchen – das war offensichtlich von außenpolitischen Gründen motiviert. Wir sind überhaupt nicht mit der Praxis zufrieden.
Hat es in den letzten Jahren eine Verschiebung zwischen Prinzipientreue und Realpolitik gegeben, etwa was die mögliche Gefährdung von Wirtschaftsbeziehungen durch das Beharren auf Menschenrechten angeht?
Die Annahme, dass man durch Menschenrechtskritik die Wirtschaftsbeziehungen gefährdet, hat sich noch nie bewahrheitet. Die Kritik an China hat doch nicht zu weniger Abschlüssen geführt – dazu ist China auch viel zu stark. Die Chinesen haben inzwischen auch gelernt, mit so einer Kritik umzugehen.
Sie haben gelernt, sie souverän zu ignorieren. Das ist doch kein Fortschritt.
Nein, aber es zeigt, dass die Annahme, Wirtschaftsbeziehungen wären durch Kritik gefährdet, nicht zutrifft.
Aber ist es nicht so, dass die Wertigkeit von Menschenrechten in den Beziehungen umgekehrt proportional zur Bedeutung des betreffenden Staates abnimmt?
Ja, natürlich. Und der Antiterrorkampf kommt noch erschwerend hinzu. Menschenrechte sind nicht mehr in Mode.
Wie beurteilen Sie denn nach den ersten Monaten Arbeit den neuen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen?
So wie er sich anlässt, ist er genauso wie die Menschenrechtskommission zuvor. Aber die UNO ist eben auch ein Spiegel der realen Machtverhältnisse.
INTERVIEW: BERND PICKERT