: Wowereit verteilt Aufputschpillen
Rund 1.500 Schering-Mitarbeiter protestieren gegen den angedrohten Jobabbau. Der Regierende Bürgermeister signalisiert Solidarität. Viel Hoffnung kann er der Belegschaft jedoch nicht machen
von Tim Westerholt
Die Angst ist spürbar. „Wir Kollegen stehen zwar enger zusammen“, sagt die Schering-Mitarbeiterin. „Aber das Verhältnis zu unseren Chefs hat sehr gelitten.“ Zusammen mit rund 1.500 Kollegen steht sie an diesem Mittag vor dem grauen Klotz des Schering-Hauptgebäudes und protestiert gegen die Streichungspläne des Bayer-Konzerns. Der hatte den Berliner Pharmaproduzenten im vergangenen Frühjahr übernommen. Seit Montag kursieren nun Gerüchte, dass statt der erwarteten 500 bis zu 1.300 Stellen in Berlin gestrichen werden sollen. Das wäre jeder fünfte der 5.500 Jobs. „Diese Vorstellung ist frustrierend, da wir eine gute Bilanz vorweisen können“, sagt die Mitarbeitern.
Verhindern soll diesen Kahlschlag nun der Regierende Bürgermeister. Klaus Wowereit (SPD) ist gekommen, um seine Solidarität mit den Schering-Mitarbeitern zu zeigen. Der Konzern sei ein Vorzeigeunternehmen, das immer zu Berlin gestanden habe – „auch in Zeiten, in denen andere nach München und sonst wohin abgehauen sind“, ruft Wowereit ins Mikrofon. Er gibt sich kämpferisch, tritt fast wie ein Gewerkschafter auf. Der Regierende Bürgermeister versichert in seiner 15-minütigen Rede den Angestellten die Unterstützung des Senats und ermahnt den Bayer-Konzern, „mehr in die Standortentwicklung als in Abfindungen zu investieren“.
Wowereit erntet Applaus, seine Worte machen etwas Hoffnung. Doch sein kämpferischer Auftritt stößt bei einigen Schering-Mitarbeitern auch auf Skepsis. „Die Politiker treten nur auf den Plan, wenn die Presse dabei ist“, meint ein sichtlich frustrierter Angestellter. Im Betrieb sei man vom Senat enttäuscht. Viel früher hätte Wowereit den Kontakt zu Schering und später zu Bayer suchen müssen.
Die nach Polizeiangaben 1.500 protestierenden Mitarbeiter opfern ihre Mittagspause für die Kundgebung, die meisten von ihnen sind Mitglieder der Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE). Viele halten Gewerkschaftsfahnen hoch, einige tragen T-Shirts über ihren Pullovern, auf denen Slogans stehen wie „Eine Kuh, die man melkt, schlachtet man nicht“, und „Zuerst heucheln, dann meucheln“. Beobachtet werden sie von Herren in grauen Anzügen auf mehreren Balkonen des Schering-Hauptgebäudes.
Unten erinnert der Betriebsratsvorsitzende Norbert Deutschmann an die Versprechen des Bayer-Konzerns: „Bayer-Chef Werner Wenning hat zugesichert, den Personalabbau fair auf die fusionierten Unternehmen zu verteilen“, sagt er. Vergleiche man den Anteil der Schering-Mitarbeiter mit dem Gesamtkonzern, dürften höchstens 500 Stellen gestrichen werden. Außerdem sei versprochen worden, dass sowohl Hauptverwaltung als auch Forschung in Berlin bleiben sollten. „Nun wächst die Verunsicherung stündlich, denn seit zwölf Monaten gibt Wenning keine Auskünfte aus seinem Elfenbeinturm heraus“, redet sich Deutschmann in Rage. Mit Trillerpfeifen und lauten „Jawohl“-Rufen signalisieren die Schering-Mitarbeiter Zustimmung.
Die letzte Sprecherin, IG-BCE-Bezirksleiterin Sabine Süpge, schließt sich Deutschmanns Forderung an die Arbeitgeber an, mit ihren Angestellten Kontakt aufzunehmen und die Streichpläne zurechtzustutzen. Versprochen worden sei ein „sozial ausgewogener Stellenabbau – und der kann niemals ohne Gespräche mit den Betroffenen selbst stattfinden“, so Süpge.
Nach einer Stunde ist die Mittagspause vorbei, die Protestierer kehren zurück an ihren Arbeitsplatz. Einige richten sich auf einen langen Kampf ein: „Das war kein Streik – aber was nicht ist, kann ja noch werden“, verabschiedet sich eine Mitarbeiterin.