DIE SPD FORDERT LOHNERHÖHUNGEN, WEIL DAS FÜR SIE BILLIG IST : Rhetorik statt Politik
Nichts ist so einfach, wie anderen Ratschläge zu erteilen. Das hat auch die SPD entdeckt, die Arbeitgebern und Gewerkschaften empfiehlt, doch ordentlich die Löhne zu erhöhen. Die Wirtschaft wächst, der Export boomt, die Gewinne sprudeln – davon müssten die Arbeitnehmer jetzt profitieren. Doch solche Gratis-Ratschläge der SPD empören nicht nur die Arbeitgeber, sondern auch die Gewerkschaften. Sosehr sie sich sonst streiten, die beiden Tarifparteien lassen nicht an ihrer „Tarifautonomie“ rütteln. Schließlich steht sie im Grundgesetz.
Die Motive für diese Verfassungstreue sind sehr unterschiedlich. Die Gewerkschaften verteidigen ihre eigene Bedeutung, die nur noch in der Lohnfindung besteht. Für die Arbeitgeber wiederum ist die Tarifautonomie äußerst profitabel, haben sie es doch mit einem machtlosen Gegenüber zu tun. In Zeiten der Arbeitslosigkeit sind die Gewerkschaften zu schwach, um angemessene Löhne durchzusetzen. Seit 1991 stagnieren die Nettolöhne der Arbeitnehmer, während sich die Firmengewinne verdoppelt haben. Keine Zahl kann die Hilflosigkeit der Gewerkschaften besser beschreiben – oder so schonungslos die Dominanz der Arbeitgeber vorführen. Die Tarifverhandlungen sind längst zur Farce verkommen, zumal viele Firmen nicht einmal mehr die Tariflöhne zahlen.
Diesmal wollte sich die SPD mit ihren Ratschlägen nur billig profilieren – aber langfristig werden sich die Parteien nicht mehr auf reine Lohn-Ratschläge beschränken können. Sie werden ihre eigene Rhetorik ernst nehmen müssen. Es wird ihnen nichts anderes übrig bleiben, als sich energisch in die Tarifpolitik einzumischen, wenn sie die Erwartung ihrer Wähler erfüllen wollen, dass es gerecht zugeht in Deutschland. Eine erste Maßnahme ist bereits erkennbar: der Mindestlohn. Aber das ist nur ein Anfang.
Die Politik ist nicht zu beneiden. Es wird wenig Spaß machen, sich mit den Arbeitgebern anzulegen, um ihre Übermacht in den Tarifgesprächen zu korrigieren. Und es wird auch die Gewerkschaften nicht freuen, ihre Hilflosigkeit einzugestehen.
ULRIKE HERRMANN