Sozialdemokraten lernen’s nie
Durch die geplante Unternehmensteuerreform verschenkt der Staat viel Geld. Deshalb muss er auch künftig wichtige Investitionen in Bildung, Arbeits- und Sozialpolitik streichen
Die Bundesrepublik hat keinen Nachholbedarf an Steuersenkungen für Unternehmen
Vor kurzem hat die Bundesregierung den neuen Bafög-Bericht verabschiedet. Eine Erhöhung der Sätze und eine Anpassung der Freibeträge für die Eltern sind darin nicht vorgesehen, obwohl die alten Werte schon seit 2002 gelten. Sie müssten aber erhöht werden, damit nicht noch mehr Studierende aus ärmeren Haushalten nebenbei jobben oder gar ganz auf ein Studium verzichten müssen.
Ähnlich knauserig zeigt sich die Regierung auch bei den Hochschulen. Dass die zugesagten Gelder im Rahmen des Hochschulpakts für den nötigen Ausbau bei weitem nicht ausreichen, ist Konsens unter den Fachkundigen. Es wird also nichts aus dem nötigen Schub der Wissensgesellschaft, da sonst der Bundeshalt nicht konsolidiert würde.
Nun ist Haushaltskonsolidierung sicher ein schönes Vorhaben. Parallel jedoch nimmt die Regierung gerade eine neue Unternehmensteuerreform in Angriff, die den Staat um viel Geld bringt. Zwar war man bei den Koalitionsverhandlungen eigentlich übereingekommen, dass die Reform aufkommensneutral erfolgen soll. Doch schon im Referentenentwurf sind 5 Milliarden Euro Mindereinnahmen genannt. Zudem wird noch der schönen Hoffnung Ausdruck gegeben, dass durch die Reform so viel Energie unter den deutschen Wirtschaftslenkern freigesetzt wird, dass es weniger Einnahmeverluste werden.
Erinnern wir uns: Genauso windig war auch die Argumentation des damaligen Finanzministers Hans Eichel (SPD), als er eine weitreichende Amnestie für Steuerhinterzieher durch das Parlament brachte. Die vom Bundesfinanzministerium prognostizierten Mehreinnahmen blieben aus. Dafür fühlten sich ehrliche Steuerzahler von dieser generösen Sündenfreisprechung angeschmiert. Gelernt hat man nicht daraus, genauso wenig wie vom dem Einnahmedebakel der letzten Unternehmensteuerreform. Die Sozialdemokraten scheinen einfach kein Glück mit ihren Finanzministern zu haben. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers nannte es dagegen einmal eine „Lebenslüge“, wenn man glaubte, dass eine Senkung von Unternehmensteuern automatisch zu mehr Investitionen führte.
Und auch jetzt fürchten unabhängigere Experten, dass der Einnahmeverlust dieser erneuten Unternehmensteuerreform sogar im zweistelligen Milliardenbereich liegen dürfte. Die Konsequenz: Ein solches zusätzliches Defizit in der Staatskasse wird stärker noch als bisher im Sozialhaushalt ausgeglichen. Also bei den Arbeitslosen oder beim Bafög. Da zudem auch die Länder davon betroffen sind, werden wohl zukunftsweisende Investitionen in Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen entfallen.
Diese Politik ist nicht nur falsch, sondern völlig unnötig. Die Bundesrepublik hat keinen Nachholbedarf an Steuersenkungen für Unternehmen. Ganz im Gegenteil. Vor kurzem hat die OECD ihren neuen jährlichen Steuereinnahmebericht vorgelegt, die „Revenue Statistics“. Jetzt haben wir international vergleichbare Angaben über Steuern und Abgaben von 1965 bis 2004. Zu Beginn der Zählung und auch die folgenden zwanzig Jahre war Deutschland etwa im Durchschnitt der 15 Kernländer der Europäischen Union. Wir konnten uns hier ausreichend Bildungseinrichtungen genauso wie einen zufriedenstellend ausgestatteten Sozialstaat leisten.
Danach ging es aber bergab. Theo Waigel und Hans Eichel haben mit diversen Steuerreformen die Steuerbasis bewusst oder fahrlässig erodieren lassen – und demnächst wird es ihnen Finanzminister Peer Steinbrück wohl gleichtun. Wo also steht Deutschland heute? 2004 fehlen bei den Einnahmen aus allen Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen gegenüber dem Mittel unserer Nachbarländer etwa 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In harten Euro ausgedrückt: etwa 110 Milliarden Euro.
Und das ist nicht einmal die ganze traurige Wahrheit, denn die Transfers in die neuen Länder machen weitere etwa 4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus. Gerade diese historische Sonderbelastung sollte eigentlich höhere Einnahmen als bei anderen Ländern nach sich ziehen, sonst kann man ordentliche Staatsleistungen kaum mehr garantieren.
Wie kommen diese 110 Milliarden fehlende Mittel zustande? Die Antwort ist sehr einfach. Sie werden durch zu geringe Einnahmen bei der Besteuerung von Unternehmen und einkommensstarken Gruppen erzeugt. Die letzten zwei Dekaden waren in der Steuerpolitik eine erfolgreiche relative Umverteilung von unten nach oben. Daran beteiligt waren alle Regierungsparteien der letzten 25 Jahre.
Besonders verteilungsintensive Steuern sind die Vermögen-, die Einkommen- und die Gewinnsteuern. Alle drei Dimensionen werden von der OECD international vergleichbar aufgeschlüsselt. Bei der Summe aller Vermögensteuern, also auch einschließlich der Erbschaftsteuern, hatte Deutschland zuletzt Einnahmen im Umfang von 0,9 Prozent des BIP, Europa dagegen von 2,1 Prozent. Das macht gute 25 Milliarden Euro Minus.
In den letzten zwei Dekaden hat die Steuerpolitik erfolgreich von unten nach oben umverteilt
Ähnlich dramatisch sieht es bei den Gewinnsteuern von Kapitalgesellschaften aus. Hier hat Deutschland Einnahmen von insgesamt 1,6 Prozent. Die anderen Länder holten aber im Schnitt schöne 3,2 Prozent. Globalisierungsdruck buchstabiert sich wirklich anders. Die Differenz, die in den öffentlichen Kassen der Bundesrepublik fehlt, beträgt etwa 35 Milliarden Euro. Früher war das anders. Von Mitte der Sechzigerjahre bis Mitte der Achtziger lagen die Einahmen auch in Deutschland völlig im Mittel Europas.
Trotz dieser Veränderung argumentieren nun manche, dass in Deutschland schon immer ein höherer Anteil an Personengesellschaften geherrscht habe. Deren Steuerzahlungen würden aber bei den Einkommensteuern für Private verbucht. Abgesehen davon, dass der Anteil der Kapitalgesellschaften am Umsatz weiter steigt und der historische Trend des Gewinnsteuerrückgangs damit nicht erklärt werden kann, wartet hier eine weitere Überraschung. Bei der Einkommensteuer verbucht Deutschland nämlich nur noch 7,9 Prozent des Sozialprodukts an Einnahmen, der europäische Durchschnitt dagegen liegt bei 10,1 Prozent. Die Differenz beträgt knapp 50 Milliarden Euro.
50 Milliarden plus 35 Milliarden plus 25 Milliarden, das macht diese 110 Milliarden Euro, die uns 2004 in den öffentlichen Kassen fehlten. Und es werden künftig noch mehr Milliarden fehlen, weil eine ganz große Koalition im Bundestag und in den Ländern darauf verzichtet, von den Einkommensstarken, den Vermögenden und den Unternehmen einen fairen Anteil zu verlangen. Die Mehrwertsteuer gleicht das nur zu einem kleinen Teil, vor allem zu Lasten der Ärmeren, aus. Auf diese Weise verspielt die Politik die Zukunft der Bundesrepublik. Denn ohne Mehreinnahmen wird der Staat auch künftig nicht mehr für eine vernünftige Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ausgeben können. GERD GRÖZINGER