Tel Aviver Kunsthaus eröffnet Filiale in Berlin

Yael Katz Ben Shalom exportiert ihre Galerie „Artneuland“ zum Austausch der Weltreligionen in ein geschichtsträchtiges Haus in Mitte

In dem großen Raum im Erdgeschoss weist wenig darauf hin, dass hier in wenigen Tagen eine bemerkenswerte Galerie eröffnen wird: weiße Wände, eine Holzleiter, zwei unter die Decke montierte Beamer. Mehr als das braucht die erste Ausstellung von Artneuland aber auch nicht, denn „Videoland“ zeigt Kurzfilme aus dem israelischen und palästinensischen Alltag, gesehen mit den Augen Einheimischer und Fremder.

Die 1964 geborene Initiatorin Yael Katz Ben Shalom exportiert damit ihr Konzept einer politischen Galerie, die den Trialog zwischen den Weltkulturen vermittelt, von Tel Aviv nach Berlin. „Berlin hat sich für mich als Standort angeboten, weil es an der Nahtstelle zwischen Ost- und Westdeutschland liegt“, sagt sie. Das Widersprüchliche und die historische Qualität der Stadt habe sie angezogen. Der Ort ihrer Galerie steht dafür: Es ist das geschichtsträchtige Straßmannhaus – die Klinik eines jüdischen Arztes, der das Haus unter den Nazis verkaufen musste.

Filme, Videos und Fotos sollen künftig im Straßmannhaus gezeigt werden, ergänzt durch Diskussionsveranstaltungen. Auch Sprachkurse für Hebräisch und Arabisch sind geplant. Oder Fotoworkshops, wie sie Artneuland in Tel Aviv organisierte, um Mitarbeiter eines Hightechunternehmens und Bewohner eines Armenviertels zusammenzubringen.

Das erstmals auf Berlin übertragene Galeriekonzept ist auch das Ergebnis eines radikalen künstlerischen Umdenkens in Israel Ende der 90er-Jahre: Yael Katz Ben Shalom, die zuvor als Malerin gearbeitet hatte, gehörte zu einer Künstlergruppe, die die Ateliers verließen, um den Konflikt vor ihrer Haustür aufzugreifen. Sie begann den Alltag in den israelischen Städten zu fotografieren und filmen.

Für die Installation „Made in Germany“ kam sie im Jahr 2000 nach Erfurt und begleitete eine Gruppe von Jugendlichen, die das Firmengelände von „Topf und Söhne“ besetzt hatten, um hier die Einrichtung einer Gedenkstätte zu fordern – die Firma hatte die Verbrennungsöfen für NS-Vernichtungslager geliefert.

Die in Israel sehr bekannte Künstlerin sieht sich ausdrücklich nicht als Holocaust-Dokumentarin. Vielmehr will sie heute als Künstlerin politisch Einfluss nehmen, den Blick von außen einfangen, um ihn mit internen Sichtweisen zu konfrontieren. „Es geht darum, dass die Parteien darüber reden, wie sie sich selbst sehen und wie sie von der Gegenseite wahrgenommen werden“, sagt die Kuratorin.

2003 lud Artneuland KünstlerInnen aus Israel, Palästina und Deutschland zu einer Exkursion in die Wüste Negev ein. Zwei Jahre später fuhr dieselbe Gruppe in ein vom Abriss bedrohtes Dorf im Lausitzer Braunkohlerevier. Während dieser Zeit habe sie ihren Standort in Berlin gehabt, sagt Katz Ben Shalom, sich sofort heimisch gefühlt und beschlossen, eine deutsche Zweigstelle von Artneuland zu gründen.

Direkt gesucht habe sie nicht nach einem Gebäude mit deutsch-jüdischem Hintergrund, aber: „Als ich von der Geschichte dieses Hauses erfuhr, fand ich es sehr stimmig.“ Der Gynäkologe Paul Straßmann ließ es 1909 als private Fachklinik bauen, nachdem ihn die Charité wegen seiner jüdischen Herkunft nicht in leitender Funktion eingestellt hatte. Seine Klinik prosperierte bis in die 30er-Jahre. 1936 musste Straßmann die Klinik zu einem Spottpreis ausgerechnet an die Charité verkaufen, er starb wenig später 72-jährig. Noch bis 1998 bildete die Uniklinik hier medizinisches Fachpersonal aus, dann wurde das Haus saniert. Seitdem sind hier vor allem Büros eingezogen – die bekommen nun mit Artneuland einen ungewöhnlichen Nachbarn. Zur wechselvollen Geschichte des Hauses aber passt das anspruchsvolle Konzept der Initiatorin auf jeden Fall.

Elke Kimmel

Eröffnung von Artneuland: Samstag, 19 Uhr, u. a. mit Peter Sloterdijk, Schumannstraße 18, www.artneuland.com