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Archiv-Artikel

Die Klimakatastrophe ist rot

Misstrauen, Vorwürfe und Unterstellungen: Nach sieben Hearings mit Dorothee Stapelfeldt und Mathias Petersen über die SPD-Spitzenkandidatur ist das Stimmungsklima in der Partei schlecht

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Es gibt Situationen, da drohen politische Freundschaften zu zerbrechen. Wenn Gräben sichtbar werden, die zuvor sorgsam verdeckt worden waren, wenn immer mehr Nerven blank liegen, wenn Protagonisten aufeinanderprallen, die lange dicke Freunde waren. Das Duell zwischen SPD-Chef Mathias Petersen und Vize-Chefin Dorothee Stapelfeldt um die Spitzenkandidatur der Sozialdemokraten im Bürgerschaftswahlkampf ist ein solcher Fall.

„Dorothee, du hast vorhin zickige Bemerkungen gemacht über Mathias“, poltert am Donnerstagabend das sozialdemokratische Urgestein Eugen Wagner beim Kandidatenhearing im Parteikreis Mitte. „Das geht so nicht. Ich bin für Mathias“, verkündet der 65-Jährige, der länger Bausenator in Hamburg war (1983 - 2001) als Helmut Kohl Bundeskanzler.

Und muss sich dafür von seinem politischen Ziehsohn Michael Neumann öffentlich rüffeln lassen: „Deine Bemerkung eben über Dorothee geht gar nicht, Eugen“, tadelt der Fraktionsvorsitzende in der Bürgerschaft den Mann, der als Chef des rechten Parteiflügels mehr als zwei Jahrzehnte lang die Politik von Partei und Senat maßgeblich mitgestaltet hatte. Er sei für Stapelfeldt, fügt der 36-Jährige hinzu, „denn sie hat die Fähigkeit, zusammenzuführen“.

Es ist eines dieser Schlaglichter, die im Gedächtnis bleiben werden nach der Tournee von Stapelfeldt und Petersen durch die Parteikreise. Denn es beleuchtet den Zustand der Hamburger Sozialdemokratie greller als die Auftritte der beiden selbst, die in einem Jahr BürgermeisterIn werden wollen. Es ist das erhitzte Klima aus wechselseitigen Vorwürfen, Unterstellungen, Gereiztheiten und Misstrauen, das auf den sieben Veranstaltungen seit Donnerstag voriger Woche offenbar wird.

Nicht so sehr, was die 50-jährige Stapelfeldt und der ein Jahr ältere Petersen sagen, wie sie es tun und wie sie sich darstellen, erzeugt diese Stimmung, es sind die Erwartungshaltungen und vorgefassten Meinungen an der Basis. Mehr als 1.600 der 11.500 Parteimitglieder haben die jeweils gut zweistündigen Hearings besucht, den KandidatInnen zugehört, ihnen Fragen gestellt oder Vorhaltungen gemacht, ihnen Beifall gezollt oder auch nicht. Wie die kaum 20-jährige Genossin am Mittwoch in Eimsbüttel, die Stapelfeldts Vorstellungen von einer „gerechten Sozialpolitik für die Menschen in dieser Stadt“ frenetisch beklatscht. Als Petersen eine Viertelstunde später das Gleiche sagt, rührt sie keinen Finger.

Wenn die Mitglieder der Hamburger SPD am morgigen Sonntag in den 70 Wahllokalen der Ortsvereine für ihn oder für sie ihre Stimme abgeben dürfen, werden sie nicht nach programmatischen Gesichtspunkten entscheiden. Denn die politischen Inhalte, die der Parteichef und seine Stellvertreterin umsetzen wollten, wenn sie regieren dürften, sind – wenig überraschend – zu 95 Prozent identisch. Die Basis wird vornehmlich nach Sympathie und Glaubwürdigkeit entscheiden.

Nicht wenige, vor allem Frauen, werden aus Prinzip für Stapelfeldt votieren, weil die Zeit für eine Erste Bürgermeisterin reif sei, wie auf allen Veranstaltungen zu hören war. Sie werden danach gehen, wem sie im Februar nächsten Jahres die besseren Chancen gegen CDU-Titelverteidiger Ole von Beust einräumen. Und sie werden erwägen, wer besser geeignet sein könnte, die Risse wieder zu kitten, welche das Spitzenduell quer durch die Partei hinterlassen hat.

Glaubensfragen, allesamt.