: Ängstlicher Blick in die Wildnis
Nie zuvor gemalte Natur sollte Symbol der unbegrenzten Möglichkeiten sein. Doch die US-amerikanischen Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts malten brav an Europa Geschultes, das mit unverstellter Wildnis wenig gemeinsam hatte. Eine Ausstellung in Hamburg illustriert das Dilemma
von PETRA SCHELLEN
Wenn sie keinen Indianer hatten, malten sie eben einen. Am liebsten einen, der vor der längst kultivierten Landschaft saß und nicht gefährlich werden konnte. Auf diese Weise entmystifiziert, diente den US-amerikanischen Landschaftsmalern der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der „edle Wilde“ als beliebtes Motiv – und also als willkommene Zutat für ihre romantisierenden Landschaftsbilder.
Wenn auch die gerade im Hamburger Bucerius Kunst Forum eröffnete Ausstellung „Die Erfindung der amerikanischen Malerei“ heißt und den Beginn einer Trilogie über 150 Jahre amerikanischer Kunst markiert, so hat das, was dort zu sehen ist, mit wirklicher Erfindung doch wenig zu tun: Kompositorisch erkennbar an Europäern wie Nicolas Poussin und Claude Lorrain geschult wirken die Arbeiten etwa Thomas Coles, so dass es zunächst wundert, dass sie je zu Ikonen amerikanischen Selbst- und Nationalbewusstseins werden konnten. Bei genauerem Hinsehen erschließt es sich aber doch: Unberührte Landschaften sind es allesamt, die Frederic Edwin Church und seine Kollegen von der 1825 gegründeten, in New York ansässigen Hudson River School schufen – Landschaften, die noch nie jemand malte und die so die dringend gewünschte Unterscheidung von europäischer Kunst möglich machten.
Denn was unterschied die nach Westen ziehenden Siedler von den Europäern, die sie nicht mehr sein wollten? Und wie sollte sich die gerade gegründete Nation definieren? Einen kulturhistorischen Fundus schien es auf dem neuen Kontinent nicht zu geben, da bot sich die unversehrte Natur als Symbol amerikanischen Freiheits-, Zukunfts- und Unabhängigkeitsstrebens an. Als im positiven Sinne ungebändigt und reich an Möglichkeiten empfanden die Maler die vorgefundenen Wasserfälle, Wälder und Steilküsten. Eine Deutung, die einen beträchtlichen Fortschritt bedeutete: Bis dato hatte wilde Natur als Angst einflößend gegolten.
Als historische Chance, ein neues Kapitel der Menschheitsgeschichte aufzuschlagen, deuteten entsprechend die Siedler selbst ihr Tun. Ihren Zug nach Westen sahen sie als von Gott befohlen. „Manifest Destiny“ hieß die zugehörige Doktrin. Dass sie unterwegs rodeten und die Natur eher zerstörten als würdigten, nahmen sie nur am Rande wahr.
Taten es indes die Maler? Einige schon, obwohl sich die Hudson River School in diesem Punkt eher ambivalent verhielt. Den Verlust der rasant gerodeten Natur beklagte etwa Thomas Cole. Malerisch-mahnend setzte er in „Blick auf den Winnipiseogee-See“ einen Indianer zwischen halb gefällte Bäume, als wolle er dazu animieren, das Tempo der Urbarmachung zu drosseln. Doch es sind allenfalls leise Warnungen vor dem Verlust der zum Symbol erhobenen Natur, die auf solchen Bildern erklingen.
Ganz abgesehen davon, dass die meisten Gemälde keineswegs so heroisch wirken, wie es der damalige Zeitgeist und nun die Hamburger Ausstellung suggerieren: Sicher, die Maler präsentierten detailreich Wasserfälle, Meer, Wald. Aber sie zeigten sie immer kultiviert: Auf einen überschaubaren Bildausschnitt hat Alvan Fisher da die Niagarafälle reduziert, präsentiert das mächtige Wasser auf einem pastellfarbenen Bildchen, gemalt aus sicherer Entfernung. Diese braven Fälle können nicht als Symbol für eine hoffnungsvollen Zukunft dienen. Thomas Cole wiederum hat auf den „Wasserfällen von Kaaterskill“ die Hotels und Touristen ausgespart, die sich längst dort tummelten. Ein Idyll hat er stattdessen gemalt, das es so schon nicht mehr gab und den Sonnenuntergang als Zeichen göttlicher Offenbarung inszeniert. Und Jacob Caleb Wards „Wolf in einem Tal“ sieht erstens aus wie ein magerer Hund und ist außerdem adrett wie auf einem Stillleben neben einen halb gefällten Zweig drapiert. Begehen lässt sich die Landschaft auch – auf einem handlich begehbaren, nur halb-wilden Plateau. Der Wasserfall – ein harmloses Bächlein im Hintergrund.
Und selbst wenn sich bei Thomas Cole mal Nebel und Wolken in die Landschaftskomposition mit dem heiligen Johannes verirren, katapultiert auch das den Betrachter nicht „direkt in die Landschaft hinein“, wie von Zeitgenossen schwärmerisch gefordert. Denn mehr als ein rauchdurchwabertes Bühnenbild ist dies nicht – eine salonfähige, stark stilisierte Nachbildung von Natur, aus verschiedenen Versatzstücken montiert. Und so sehr die Zeitgenossen den Mythos der Eigenständigkeit auch beschworen: Ernsthaft von der europäischen Kunst entfernt haben sich diese Maler weder kompositorisch noch in ihrer Perspektive auf die unterworfene Natur. Und vielleicht haben sie nicht mal selbst an den Mythos der unbegrenzten Chancen geglaubt, den diese Bilder – übrigens häufig Auftragswerke – illustrieren sollten.
Was bleibt also zu sagen zu einer Ausstellung, die das Revolutionäre postuliert und stattdessen zwischen verhalten mahnender ökologischer Perspektive und forcierter Illustration des amerikanischen Mythos changiert? Dass ihre Werke die amerikanische Variante der nordeuropäischen Nationalromantik sind? Dass sie, abgesehen von dem nie zuvor gemalten Motiv, wenig Individuelles zu bieten haben?
Vielleicht ein bisschen von allem; vor allem aber zeigt die Schau eins: den trotz allem furchtsamen Blick einer europäisch geprägten Malergeneration auf eine Furcht einflößende Landschaft, der auch durch stilisierende Komposition nicht beizukommen war. Auch den von europäischer Vergangenheit unbelasteten Neuanfang der Siedler sollten die Gemälde illustrieren – um sogleich zu zeigen, dass dies nicht funktioniert. Dass auch diese Maler ihre Wurzeln nicht lassen konnten. Klarstes Beispiel hierfür könnte „Das Hetch-Hetchy Valley“ von Albert Bierstadt sein: Den Hintergrund einer kalifornischen Landschaft bildet eine Bergformation, die im amerikanischen Westen so nirgends vorkommt. Die aber stark an die Schweizer Alpen erinnert.
Die Ausstellung „Neue Welt. Die Erfindung der amerikanische Malerei“ ist bis zum 28. 5. im Bucerius Kunst Forum, Hamburg, zu sehen.