: US-Börsenaufsicht beobachtet Siemens
Siemens’ schwarze Kassen könnten ein Verfahren der US-Börsenaufsicht nach sich ziehen. In den USA ist Unternehmen gesetzlich vorgeschrieben, gegen Korruption vorzusorgen. Informanten in Firmen stehen unter besonderem Schutz
VON ADRIENNE WOLTERSDORFUND TARIK AHMIA
Die schwarzen Kassen bei Siemens könnten den Konzern nun auch in den USA in Schwierigkeiten bringen. Denn das Unternehmen hat die seit über einem Jahr laufenden staatsanwaltlichen Ermittlungen wegen Untreue anscheinend nicht der US-Börsenaufsichtsbehörde SEC gemeldet. Doch dazu wäre der Konzern, der seit fünf Jahren an der New Yorker Börse notiert ist, nach den US-Börsenrichtlinien verpflichtet gewesen. „Von einem Verfahren der SEC ist uns nichts bekannt“, sagte gestern ein Siemens Sprecher der taz. „Wir gehen aber davon aus, dass die SEC die Vorgänge beobachtet.“
Die SEC könnte aktiv werden, sofern die ermittelnde Staatsanwaltschaft in München nachweisen kann, dass die schwarzen Kassen für Korruption eingesetzt wurden. „Ein Verfahren der SEC kann für ein Unternehmen zum bürokratischen Albtraum werden“, sagt Josef Wieland, Direktor am Institut für Wertemanagement in Konstanz. Der Ökonom schätzt, dass sich Korruption wirtschaftlich nicht lohnt, wenn deshalb die SEC ermittelt. „Die Kosten für Strafen und Anwaltsgebühren in einem SEC-Verfahren könnten höher liegen, als vermeintliche Korruptionsgewinne“, sagt Wieland. In den USA wurde nach den Riesenpleiten der Konzerne Enron und Worldcom im Jahr 2002 die Gesetzgebung für die Korruptionsbekämpfung erheblich verschärft. Sie könnte ein Vorbild für Deutschland sein, weil hierzulande Alarm schlagende Mitarbeiter im internationalen Vergleich besonders schlecht vor Jobverlust und Mobbing geschützt sind. Enron und Worldcom haben einen großen Stein ins Rollen gebracht. Dem gigantischen Finanzskandal folgte erhöhter, strafbewehrter Druck auf US-Konzerne, das sogenannte Sarbanes-Oxley-Gesetz.
Es schreibt Ethikprogramme und die Förderung von firmeninternen Beschwerden über Unregelmäßigkeiten vor. Das soll den Schutz der Informanten, sogenannter „Whistleblowers“, sicherstellen und dazu führen, dass Beschwerdeführende keine Konsequenzen zu befürchten haben. Nach Angaben der unabhängigen Organisation „Taxpayers against Fraud – Steuerzahlende gegen Betrug“ –, kamen auf Bundesebene durch von Whistleblowers ausgelöste Gerichtsverfahren seitdem rund 17 Milliarden US-Dollar zusammen, die ansonsten in dunklen Kanälen und privaten Taschen verschwunden wären.
Der Schutz von Informanten, die etwa Korruptionsfälle an die Öffentlichkeit bringen, hat in den USA schon lange Tradition. Bereits Präsident Abraham Lincoln sorgte im Jahr 1863 mit den „False Claims Act“ dafür, dass normale Bürger im Namen der Steuerzahlenden Alarm wegen Betrugs bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen schlagen können. Das sogenannte Lincoln-Gesetz schuf Anreize im Kampf gegen Korruption und Betrug, in dem es Alarmschlägern einen Teil des entwendeten Geldes zusprach – eine Regelung die bis heute als „Whistleblower Protection Act“ die erfolgreichste Grundlage für die Korruptionsbekämpfung in den USA bildet.
Allerdings variieren gesetzliche Vorgaben in den fünfzig Bundesstaaten, was den Schutz von Whistleblowers zu einem unübersichtlichen Patchwork verkommen lässt. Daher sind Anwälte von Whistleblowers überwiegend der Meinung, dass all diese Maßnahmen keineswegs ausreichen, um Informanten vor Racheakten wie Versetzung oder Anzweifeln ihrer geistigen Fähigkeiten zu schützen. „So gut wie jeder Alarmschlagende, der sich bis zum bitteren Ende mit allen Gesetzen durchbeißt, wird viele Jahre und noch mehr Dollar investieren müssen, um sich vor Klagen zu retten“, sagt Tom Devine, Rechtsberater des „Government Accountability Projekts“ (GAP).