Die Revolution von oben

Mit einem revolutionären Sparkonzept versucht der rechte TU-Asta, das Establishment zu sprengen. Sein radikaler Marsch in die Institutionen hat es auf linke Strukturen abgesehen. Ein Frontbericht

„Die größte Verfehlung ist der Asta der TU“, sagt ein Student„Das sind die letzten Zuckungen der übrig gebliebenen 68er“

VON MARTIN KAUL

Silvia Gruß muss über die Couch steigen, um in die andere Ecke des Café Krähenfuß zu gelangen. Dorthin, wo die anderen vom ReferentInnenrat sitzen. Sie konzentriert sich, den Kaffee nicht zu verschütten. FairTrade-Kaffee. An der Wand hängen Poster: „X-tausendmal quer“ oder „Köpi bleibt“ steht darauf. Zwischen grasig duftenden Qualmwolken hat der ReferentInnenrat von der Humboldt-Universität Neuigkeiten zu verkünden: Der Asta der TU will seine Sozialberatung einstampfen.

Silvia Gruß, 22, setzt sich still in die Ecke. Ihr Gesicht ist unauffällig, fast blass. Sie hat keine Rastalocken, keine bunt gefärbten Haare. In ihr glattes, rotblondes Haar ist ein Scheitel gezogen. Sie trägt weder Flicken noch Aufnäher, auch keine Anstecker an ihrer Kleidung. Sie ist Studierendenvertreterin an der HU, sie ist Referentin für Soziales im ReferentInnenrat. Der schreibt die Pressemitteilungen, die auf die „soziale Kahlschlagpolitik“ des Allgemeine Studentenausschuss (Asta) der Technischen Universität hinweisen.

Seit Oktober vergangenen Jahres gibt es diese Pressemitteilungen. Seitdem ein rechtes Bündnis in die Studierendenvertretung an der TU einzog. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten. Für viele linke Hochschulgruppen in Berlin war das undenkbar gewesen. Weil aus dem TU-Asta nun andere Pressemitteilungen kommen, weist der HU-ReferentInnenrat nun auch mit Pressemitteilungen auf Verfehlungen an der TU hin. „Die größte Verfehlung ist deren Asta“, sagt ein Student.

Szenenwechsel: Unten im TU-Hörsaal, wo sonst die Mathematikvorlesungen gehalten werden, spricht Gottfried Ludewig, der Vorsitzende des TU-Asta. „Laut Paragraf 1“, so beginnt Ludewig seinen ersten Satz. „Laut Paragraf 2“ stellt er an den Anfang des nächsten Satzes. Paragraf 3 folgt. Heute soll hier debattiert werden, ob der Asta der TU noch zu retten ist. Knapp 100 Studierende fläzen sich auf den hellbraunen Klappbänken des Hörsaals MA 004 in der Technischen Universität (TU). Ludewig war hier eigentlich gar nicht eingeladen. Insgesamt sei diese Versammlung keine Vollversammlung im rechtskräftigen Sinne, sagt der adrette blonde Studierende. „Das gehört hier erst mal richtiggestellt.“

Gottfried Ludewig ist seit langem im RCDS aktiv, dem Ring Christlich-Demokratischer Studenten, dem Studi-Verband der CDU. Man könnte auch sagen, Ludewig ist Vorsitzender einer revolutionären Garde in Berlin. Er wettert gegen das Establishment, wettert gegen die verkrusteten Strukturen. Er schimpft über korrupte Studierendenvertreter und Mängelwirtschaft.

Nur: Für ihn ist die Linke das Establishment. Kostensenkung, Rationalisierung, Effizienz sind die Parolen seiner Protestbewegung. Wer die Berliner Studierendenvertretung so radikal wie möglich umkrempeln will, muss so stromlinienförmig wie möglich sein. Die Berliner Asten waren das nie. Deshalb ist er so gefährlich.

Ludewig, 24, trägt glänzende Lederschuhe, eine enge Anzughose mit leichtem Schlag, einen schwarzen Rollkragenpullover. Er sagt gerne Wörter wie „explizit“ und „nicht wahr?“ Er lacht immer, im Zweifel übertrieben laut.

Viele Studierende in Berlin sollten Angst vor seiner Garde haben. Sie wirkt entschlossen. Gottfried Ludewig ist angetreten, „die objektiven Studierendeninteressen“ zu vertreten. Ludewig bezeichnet sich als unideologisch. Was sind das für objektive Interessen? Für längere Bibliotheksöffnungszeiten will er kämpfen, für eine computergesteuerte Prüfungsanmeldung eintreten. Er will, dass die Studierenden eine PartyCard bekommen, mit denen sie Vergünstigungen kriegen. Etwa bei Starbucks.

Aber Ludewig will vor allem die Studierendenbeiträge senken. Er will Rationalisierung. Er will sparen. Seine Revolution ist radikal: 7,10 Euro zahlt jede Studentin, jeder Student pro Semester. Studierende müssen dieses Geld abführen, damit ihr Asta arbeiten kann. Eine Asta-Steuer. Ludewig findet, 7,10 Euro ist zu viel. Er wollte es auf 3,96 Euro fast halbieren. Das Uni-Präsidium hat es verboten. Es befand: Mit so wenig Geld kann kein Asta arbeiten. 5,81 Euro, sagt das Präsidium, das ist Minimum. Dank seines Sparprogramms spart jedeR Studierende an der TU künftig 1,29 Euro im Semester. Das sind 2,58 Euro im Jahr. Der RCDS tritt offen für Studiengebühren ein. Ludewig studiert Volkswirtschaft.

Etwa 30.000 Studierende hat die Technische Universität. 30.000 mal 2,58 Euro, das macht 77.400 Euro. Die fehlen bald. Geht es nach HU-Studivertreterin Silvia Gruß, ist offensichtlich, „dass der rechte Asta an der TU alles daran setzt, in so kurzer Zeit wie möglich so viele Strukturen wie möglich zu zerschlagen“. Geht es nach Ludewig, heißt es: „Wir müssen uns auf die Kernaufgaben konzentrieren und keine ideologische Klientelpolitik machen.“

Linke Klientelpolitik – das ist für Ludewig etwa, Studierende zu unterstützen in andere Orte, in andere Länder zu fahren, auf Kongresse und Tagungen. Oder einen Dokumentarfilm über Unistreiks zu finanzieren. Für Silvia Gruß ist selbstverständlich, „dass Uni nicht in der eigenen Uni aufhört. Man kann die soziale Schlagseite der Universität nicht ausblenden“, sagt sie.

An der TU wird dennoch gekürzt, was das Zeug hält. Der Haushaltsplan 2007/2008 für den TU-Asta liest sich eindeutig: „Aufwendungen für ehrenamtlich Tätige: entfällt“, „Stipendien, Ausbildungs- und Erziehungshilfen: entfällt“, „Zuschüsse für Jugend und Studentenprojekte: entfällt.“ Es gibt nun andere Prioritäten. „Gerichts- und ähnliche Kosten: mehr wegen erhöhten Bedarfs.“

Über 20.000 Euro hat allein der Rechtstreit schon gekostet, den Ludewig gegen seine Angestellten führt, engagierte Studierende. Vorher waren sie in der Druckerei beschäftigt. Ludewig hat sie geschlossen. „Eine Asta-Druckerei ist nicht dazu da, Pamphlete zu drucken“, findet er. Nichts liegt ihm ferner als ein allgemeinpolitischer Anspruch. Immer wieder: das Studierendeninteresse!

Die Asta-Mitarbeiter, denen er misstraut, bekommen nun Dienstanweisungen. Sie siezen ihren neuen Chef. Er ist jünger als viele von ihnen. Er hat das Mandat, die Befehlsgewalt. Er nutzt sie. Das ist sein Marsch durch die Institutionen. Seine Rundschreiben druckt der Asta nun ohne Mitarbeiter. Ihre Verträge laufen, sie müssen Däumchen drehen. Während hinter verschlossenen Türen Maschinen für zehntausende Euro rosten, vergibt der Asta seine Druckaufträge nun an privatwirtschaftliche Druckereien. Der Typus jenes Klassenfeindes, vor dem es jener Linken graut – er steht am Ruder.

Bei Starbucks am Ernst-Reuter-Platz gibt es noch keine Studi-Rabatte. Leider. Nur drei Minuten von hier liegt die alte Asta-Villa. Die Wände sind übersät mit Kleberückständen. Sie sind ein Denkmal. Die vergilbte Innenfassade erinnert an einen Ort, in dem Leben herrschte, in der Vergangenheit. Hier hingen einmal Plakate, bunt, provokant, energisch. Solche wie im Café Krähenfuß. Sie wurden entfernt, als der neue Asta kam. Nur eine Message steht noch an der Wand: „RCDS, verpiss dich!“ hat jemand mit grünem Sprühlack in den Eingangsbereich gesprayt. „Das sind die letzten Zuckungen der übrig gebliebenen 68er“, sagt Ludewigs Begleiter im Vorbeigehen. Andreas Seeringer, Referent für Öffentlichkeitsarbeit. „Die letzten“, betont er. Das ist die Basis einer studentischen Zusammenarbeit, die seit Oktober letzten Jahres nicht mehr existiert. Auf Landesebene herrscht Funkstille. Auf der Landesastenkonferenz (LAK) begegnen sich die Studierendenvertreter kühl. „Mit denen kommen wir leider zu keinem Ergebnis“, sagt Gottfried Ludewig. „Mit denen gibt es einfach keine Arbeitsgrundlage“, heißt es im Café Krähenfuß.

In der Otto-von-Simson-Straße steht an einer alten Villa groß „Himbeerwurst“. Im Asta der Freien Universität gibt es Gelächter. Es geht um den TU-Asta. Mal wieder. Einige schütteln den Kopf. Eigentlich sei das gar nicht zum Lachen. „Weil die LAK im Konsens entscheidet,“ sagt ein Referent im Himbeerwurst-Haus, „sind so gut wie alle politischen Kampagnen obsolet geworden.“ Semesterticket. Studiengebühren. Und was da kommen mag. Jetzt finden die Kämpfe innen statt.

„Dass wir auf Landesebene keine Übereinstimmung haben, ist das eine“, sagt Silvia Gruß. „Aber der TU-Asta entsorgt mit seiner eigenen Infrastruktur gleich die Grundlage der kompletten Studierendenvertretung in Berlin.“ Der ReferentInnenrat der HU muss nun auch Druckaufträge an privatwirtschaftliche Unternehmen vergeben. Die letzten Jahre und Jahrzehnte wurde mit dem TU-Asta zusammengearbeitet. Der hatte die Druckmaschinen, an der HU steht eine Belichtungsmaschine. Eine Hand wäscht die andere, hieß es.

Bei eiligen Aktionen, zum Studi-Protest, zur Demovorbereitung ging das unkompliziert. Telefonieren, einstielen, drucken, verteilen, fertig. Heute wird nicht mehr gedruckt. Es könnten Pamphlete sein. „Das ist eine sehr effektive Weise, eine Berliner Studierendenbewegung komplett zu lähmen“, sagt Silvia Gruß.

Auf der Versammlung im Hörsaal MA 004 steht Ludewig und sagt Sätze wie diesen: „Wir prüfen derzeit bei allen Beratungsangeboten, die wir anbieten, ob es sich hierbei um Doppelstrukturen handelt, die vermeidbare Kosten verursachen. Sollte sich herausstellen, dass dem so ist, sehen wir es als unsere Aufgabe an, mit dem Geld der Studierenden verantwortlich umzugehen.“

Im Café Krähenfuß wird der Satz übersetzt: „Die stampfen ihre Sozialberatung ein!“, sagt ein Referent. Silvia Gruß sagt: „Diese Beratungsarbeit des Asta ist unersetzbar. Das Bafög-Amt berät schlichtweg nicht, wie man etwa Widerspruch richtig einlegt. Demnächst fangen wir die TU-Studierenden auf, die der RCDS in die Sozialfalle schickt.“ Sie regt sich auf. Gottfried Ludewig hat nie Bafög empfangen.

Im Hörsaal MA 004 stehen die Veranstalter am Rand. Sie haben sich zurückgezogen. Seit anderthalb Stunden schon steht Gottfried Ludewig in der Mitte des Raums. Die Hälfte der Redezeit ging an ihn allein, er hat sie sich genommen. Aus der Protestversammlung ist eine Ein-Mann-Show geworden. Niemand wehrt sich. Wenn andere reden, tippt er auf seinem Handy.

Gottfried Ludewig beherrscht einen Raum, der größer ist als der Hörsaal MA 004. Hier geht es nicht um Ideologien. Nie. Er will, dass die Bibliothek länger öffnet. Und er will eine PartyCard einführen.