Die taufeuchten Augen der Nostalgie

Scott Foundas gehörte zu den wenigen US-Filmkritikern, die einen kritischen Blick auf „Das Leben der Anderen“ warfen – und dafür den heiligen Zorn des Regisseurs zu spüren bekamen. Ein Erlebnisbericht

Schon lange bevor er am Sonntagabend den Oscar für den „besten fremdsprachigen Film“ abräumte, waren „Das Leben der Anderen“ und sein 33-jähriger Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck in Nordamerika mit offenen Armen aufgenommen worden. Es begann im September vergangenen Jahres, als der Film – zuvor in Cannes wie Berlin vom Wettbewerb ausgeschlossen – seine US-Premiere auf dem renommierten Telluride Film Festival in Colorado erlebte, wo er sich rasch zum Publikumsliebling entwickelte. Ein ähnlich warmer Empfang wurde dem Film ein paar Wochen später auf dem Toronto Film Festival bereitet.

Und als er endlich in ausgewählten Kinos zu sehen war, da hatte er längst schon die Publikumspreise der Festspiele von Denver, Palm Springs und Vancouver eingeheimst, für ekstatische Besprechungen im New Yorker, in der New York Times sowie im Wall Street Journal gesorgt und sich bei der Gesellschaft der Filmkritiker von Los Angeles die Auszeichnung als „bester ausländischer Film“ abgeholt.

Persönlich ist Donnersmarck dabei immer als dankbarer, bescheidener Gewinner aufgetreten. Schriftlich aber hat er mit harten Worten auf die Wenigen reagiert, die es gewagt hatten, einen kritischen Standpunkt zu seinem Film einzunehmen: „Ich kenne diesen Typ von Kritiker sehr gut“, sagte Donnersmarck dem Reporter Michael Guilén von der Kino-Website twitchfilm.net: „Sie sehen: ‚Oh, alle anderen schreiben etwas Positives, und ich will nicht Teil dieser Herde sein. Ich werde etwas anderes schreiben! Ich werde originell sein!‘ “

Donnersmarck antwortete damit auf die Frage nach einer ganz bestimmten Rezension, nämlich meiner eigenen. Ich hatte sie im vergangenen Dezember in L.A. Weekly veröffentlicht und geschrieben, mit seiner Darstellung ostdeutschen Lebens im Kommunismus blicke der Film „nicht in Zorn oder Abscheu“ auf diese Tage zurück, „sondern mit den taufeuchten Augen der Nostalgie. Er stellt uns einen Stasi-Agenten vor, der von der heilenden Kraft der Kunst erlöst wird, einen Geheimpolizisten mit der Seele eines Poeten. Der Film hätte ebenso gut ‚Erinnerst du dich an die Stasi? Eigentlich waren die ja gar nicht so schlimm‘ heißen können.“

Meine Einschätzung hatte Donnersmarck so sehr geärgert, dass er sie noch Monate später im Interview mit Michael Guilén fast wörtlich wiederholen konnte, um dann zu kontern: „Auf diese Idee ist noch niemand gekommen: dass ich Leute heroisieren würde, die nur Befehlen gehorchen. Ich habe die eine Person heroisiert, die sich weigert, den Befehlen zu folgen. Genau das ist es, was ich tue. Ich mache das exakte Gegenteil von dem, wofür Foundas mich anklagt.“

Solche Meinungsverschiedenheiten zwischen Kritikern und Filmemachern sind nicht ungewöhnlich. Doch Donnersmarcks offensichtliches Bedürfnis danach, dass jeder seinen Film lieben soll, wurzelt in dem Film selbst: „Das Leben der Anderen“ ist lediglich der neueste in einer langen Reihe zeitgenössischer Filme über historische Ereignisse, „Schindlers Liste“ und „Hotel Ruanda“ eingeschlossen, die den Großen Schrecken des zwanzigsten Jahrhunderts etwas Erhebendes und Tröstliches abzugewinnen suchen. Filme, die sich so sehr auf die besten und löblichsten Aspekte der menschlichen Natur konzentrieren, dass sie alles Negative ausschließen.

Es sind dies Filme, die der Geschichte ihre Härte nehmen und von Zuschauern geliebt werden, weil hier Helden und Schurken klar erkennbar sind, die Handlung in einer Abrechnung gipfelt und die Moral des Film in großen Neonlettern am Himmel steht.

Wen wundert es da noch, wenn „Das Leben der Anderen“ nun von einer Academy gefeiert wird, die schon früher ihre goldenen Statuetten über ähnlich simpel gestrickte „Meisterwerke“ wie „Crash“ oder „Forrest Gump“ ausgeschüttet hat?

Auf der Bühne des Kodak Theatre, mit dem Oscar in der Hand, hatte der Zwei-Meter-Mann Donnersmarck denn auch ein spezielles Dankeschön für keinen Geringeren als Arnold Schwarzenegger vorgesehen, „weil er mich gelehrt hat, die Worte ‚Ich kann das nicht‘ aus meinem Vokabular zu streichen“.

Jede Wette: Donnersmarcks erster Trip nach Hollywood wird, wie schon beim „Governator“ vor ihm, gewiss nicht sein letzter sein.

Aus dem Amerikanischen von Arno Frank