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Archiv-Artikel

Relativ ohnmächtiges UN-Gericht

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat seit 1946 nur 92 Urteile gesprochen. Denn er wird nur tätig, wenn sich Staaten ausdrücklich seiner Gewalt unterwerfen. Außerdem hat er keine Polizei und keinen Gerichtsvollzieher

Freiburg taz ■ Unter dem Eindruck der Massenvernichtung der europäischen Juden wurde 1948 die UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes beschlossen. Sie verpflichtet alle Unterzeichnerstaaten, den Völkermord nach dem jeweiligen nationalen Strafrecht unter Strafe zu stellen. Bis heute haben 133 Staaten die Konvention ratifiziert. Bei Streitigkeiten über die Auslegung können die Vertragsstaaten den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag anrufen. Wie der IGH gestern wohl erstmals feststellte, verbietet die Konvention den Staaten auch, Völkermorde selbst zu begehen.

Der Internationale Gerichtshof (IGH) ist das Gericht der Vereinten Nationen und entscheidet über die Auslegung von völkerrechtlichen Streitfragen. Allerdings ist der Gerichtshof nicht sehr beschäftigt. Seit seiner Gründung 1946 hat er nur 92 Urteile und 24 Gutachten erstellt. Das liegt vor allem daran, dass der IGH nur Recht sprechen kann, wenn die beteiligten Staaten damit ausdrücklich einverstanden sind.

Nur rund 60 Länder unterwerfen sich generell der Rechtsprechung des IGH. Auch das angeblich so völkerrechtsfreundliche Deutschland hat keine derartige Erklärung abgegeben. Damit ein Verfahren zustande kommt, müssen daher alle betroffenen Staaten vor Beginn dem IGH die Zuständigkeit übertragen. Nur wenige internationale Verträge sehen eine generelle Zuständigkeit des IGH für Streitfälle der Vertragsparteien vor.

Die Anrufung des IGH ist auch deshalb nicht sehr attraktiv, weil dessen Verfahren sehr langwierig sind. Oft werden jahrelang nur komplizierte Schriftsätze ausgetauscht. Auch das Verfahren um den Völkermord in Bosnien dauerte 14 Jahre bis zum Urteil. Während der Kampfhandlungen hat der IGH zwar relativ schnell mit zwei einstweiligen Anordnungen zu intervenieren versucht. Da den Richtern jedoch weder eine Weltpolizei noch ein Weltgerichtsvollzieher zur Verfügung stehen, verpufften die Appelle.

Auch ein anderer Fall demonstriert die relative Ohnmacht des UN-Gerichts. 2004 erstattete der IGH im Auftrag der UN-Generalversammlung ein Gutachten zu den israelischen Sperranlagen auf palästinensischem Gebiet. Der Verlauf des Sicherheitszaunes sei rechtswidrig, deshalb müsse der Bau gestoppt und bereits fertiggestellte Teile der Anlage wieder abmontiert werden, erklärte der IGH. Israel ignoriert das Gutachten jedoch. Nur der UN-Sicherheitsrat könnte Sanktionen verhängen.

In den letzten Jahren trat der IGH etwas in den Schatten zweier anderer Gerichte in Den Haag. Das Internationale Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien verfolgt und bestraft seit 1993 die Kriegsverbrecher des Balkankonflikts. Sein wichtigster Angeklagter, der ehemalige serbische Staatsschef Slobodan Milošević, starb allerdings vor der Urteilsverkündung.

Seit 2002 existiert in Den Haag außerdem der Internationale Strafgerichtshof (IStGH), der ebenfalls individuelle Verbrechen aburteilen soll. Mehr als 100 Staaten haben den zugrundeliegenden Vertrag bereits ratifiziert. Bisher ist der IStGH, der von den USA abgelehnt wird, vor allem in Afrika engagiert.

Christian Rath