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Archiv-Artikel

Bescheidenheit ist eine Zier

ARCHITEKTUR Das Netzwerk Archis Interventions zeigt mit „The Good Cause“ in München, wie der Wiederaufbau in Krisen- und Kriegsgebieten sinnvollerweise aussehen müsste

Mostar, Mitrovica, Belfast und Nicosia: Wie lässt sich in geteilten Städten ein gemeinsamer Raum schaffen?

VON CHRISTINA HABERLIK

Krisenherde, wohin man schaut – Ostukraine, Syrien, Lybien, verheerende Kampfhandlungen in Israel und im Gazastreifen. Eine der Folgen ist die erschreckend hohe Zahl von Flüchtlingen weltweit. Wir hier in Mitteleuropa leben auf der Insel der Seeligen – noch: „Wir können nicht hoffen, verschont zu bleiben von den Konflikten der Welt. Aber wenn wir uns an deren Lösung beteiligen, können wir die Zukunft zumindest mitgestalten“, so Joachim Gauck in seiner Eröffnungsrede der 50. Sicherheitskonferenz im Januar diesen Jahres in München.

Eine weitere Folge ist die Zerstörung ganzer Städte und Regionen. Eine ungewöhnliche Ausstellung im Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne in München befasst sich mit dem Wiederaufbau in ehemaligen Konfliktgebieten. Meist verläuft der Wiederaufbau chaotisch, ohne dass Planer und Architekten hinzugezogen und Sicherheitsstandards berücksichtigt würden. Anstelle von Fachplanern erarbeiten Soziologen und Politikwissenschaftler die Konfliktstudien, berichten die Kuratoren und Mitbegründer des Netzwerks Archis Interventions, Lilet Breddels und Arjen Oosterman.

Archis Interventions ist die Plattform eines internationalen Netzwerks von Architekten, Stadtplanern und Wissenschaftlern. Die Münchner Ausstellung ist das Resultat ihrer jahrelangen Projektarbeit. Archis Interventions unterstützt die Städte mit aktiven Interventionen als friedenssichernde Maßnahme. Der erste Teil der Ausstellung widmet sich dem Wiederaufbau mit einem Blick für lokale Strukturen. Architektur als Kunst des Bauens greift hier zu kurz, vielmehr geht es um einen erweiterten Architekturbegriff als Mittel zur Wiedergutmachung, Zusammenführung und Integration in Krisengebieten. Oder noch weiter gefasst, um die Architektur und Struktur der Vernetzung internationaler Beziehungen und Hilfsmaßnahmen zur Friedenssicherung.

Acht Anforderungen

In Fallstudien werden integrative Projekte vorgestellt: Besonders eindrucksvoll ist die Studie aus Afghanistan zur Wiederherstellung des Babur-Gartens an den Hängen des Hindukusch. Hier wurden alle Voraussetzungen erfüllt, die die Initiatoren von Archis Interventions in einem Anforderungskatalog für das Gelingen eines derartigen Projekts zusammengestellt haben: gegenseitiges Vertrauen, öffentlicher Charakter, Arbeitsmöglichkeiten für die Menschen vor Ort, also deren konkrete Einbindung in die Wiederaufbauarbeiten, Kontinuität, das heißt: Das Projekt sollte auch nach Abzug der Initiatoren weiterleben. Des Weiteren Identifikationsgefühl, Bescheidenheit der Fachkräfte gegenüber den Ortsansässigen und deren Bedürfnissen – und zuletzt bauliche Sicherheit und Zeit für diese oft langwierigen Prozesse. Sind all diese acht Punkte erfüllt, ist anzunehmen, dass das Projekt funktionieren und zur Friedenssicherung beitragen wird.

Ein weiteres herausragendes Beispiel ist das Red Location Museum in Port Elizabeth in Südafrika. Es fördert die Identifikation mit der eigenen, nun selbstbestimmten Lebensweise, indem es die Zeit der Apartheid dokumentiert und durch Aufklärung bei der Verarbeitung hilft. So wird die mahnende Erinnerung an diese Zeit der Unterdrückung wachgehalten.

Ein sperriges Thema wie dieses, das sich dem Besucher kaum unterhaltsam, dafür aber lehrreich präsentiert, ist harte Kost fürs Sommerloch: „Das Museum kann nicht mehr nur der Ort der gefälligen Präsentation von ästhetischen Fragestellungen sein, auch die Architektur wird von Kriegen bedroht und zerstört, und sie kann auch einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wiederaufbau leisten“, erläutert Andres Lepik, der neue Leiter des Architekturmuseums, der mit der Ausstellung für ein erweitertes Verständnis von Architektur in der globalen Perspektive plädiert.

Aktion am Checkpoint

Ein zweiter Teil der Ausstellung, kuratiert von Kai Vöckler, befasst sich mit geteilten Städten in Europa und der Lebenssituation in Mostar, Mitrovica, Belfast und Nicosia. Hier werden Maßnahmen erörtert, die die Annäherung der Stadthälften unterstützen können, etwa das Schaffen gemeinsamer Räume außerhalb der Konfliktzonen als Möglichkeit, sich zu treffen, und um das Bewusstsein der gemeinsamen Geschichte zu fördern – oder die Schaffung eines dritten Raumes, der sozusagen eine zusätzliche Realität schafft. Ein Beispiel hierfür ist die „Occupy Buffer Zone“, eine temporäre Besetzung eines Checkpoints in Nicosia durch türkische und griechische Aktivisten, die durch ihr gemeinsames Handeln die eigene Problematik auf eine höhere, globale Ebene verlagerten.

Mitnehmen kann man aus dieser lehrreichen Schau zudem eine Menge Informationen über die erschütternde Zahl der weltweiten kriegerischen Konflikte seit 1945. Vielleicht stellt sich nach dem Besuch ein bisschen Demut ein, weil wir seit 1945 von derlei Nöten verschont geblieben sind. Das Museum fungiert hier als Informationsplattform und Motivationsstätte für engagierte Bürger. Mitnehmen kann man auch die Erkenntnis, dass und wie Architektur, so Andres Lepik, „zu einem Instrument der Versöhnung und der Stabilisierung werden kann“. Respekt den Kuratoren und den Helfern in Postkonfliktzonen weltweit sowie der Museumsleitung für dieses mutige Projekt.

■ Bis 19. Oktober, Architekturmuseum der TU München, Pinakothek der Moderne, München. Statt eines Katalogs: „Archis“, # 40, „Architecture of Peace Reloaded“ mit einem Insert „The Good Cause“