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Archiv-Artikel

Als fiele die Sonne

1929 Heinrich Hauser sollte für den Fischer Verlag das Ruhrgebiet dokumentieren. Nun wurde das „Schwarze Revier“ neu aufgelegt

„Schwarzes Revier“ handelt vor allem von den Auswirkungen der Stahlproduktion auf die Menschen

VON MICHAEL FREERIX

„Laub ist grau, nicht grün. Gespenstig graugelbes Licht (die Belichtungszeit muss mehr als fünffach verlängert werden!)“, notierte Heinrich Hauser, als er im Herbst 1929 mit seinem Fotoapparat das Ruhrgebiet durchstreifte. Im Auftrag des S.-Fischer-Verlages sollte er „ein Bildmaterial des Ruhrgebietes durch eigene Aufnahmen beschaffen“. Das Ergebnis dieser Reise veröffentlichte der Verlag im Jahr darauf unter dem Titel „Schwarzes Revier“.

Hauser wurde 1901 in Berlin als Sohn eines Arztes geboren. Als Seemann fuhr er bis Chile und Australien, probierte sich in vielen Berufen aus, bevor er 1926 Redakteur bei der Frankfurter Zeitung wurde. Doch trotz des Gerhart-Hauptmann-Preises, den er 1928 für seinen dritten Roman „Brackwasser“ verliehen bekam, konnte er sich im deutschen Literaturbetrieb nicht etablieren. Das lag vor allem am unruhigen Leben des Kreativ-Schreibenden, der lieber mit einem selbst gebauten Campingwagen durch Deutschland fuhr, den Flugschein machte oder sich als Testfahrer ausprobierte, anstatt sich um eine geradlinige literarische Karriere zu kümmern.

Auf die technische Qualität seiner Fotos in „Schwarzes Revier“ legte er, nach eigenen Worten, keinen großen Wert. Er würde nur „Bremsen, Halten, Aussteigen, Photographieren“. Doch gibt es in seinen Aufnahmen keinen Moment von Oberflächlichkeit und Flüchtigkeit. Ganz im Gegenteil. Seine Fotos von Fabriken und Straßenlandschaften zeichnen sich durch eine große Präzision und Genauigkeit in der Bildgestaltung aus. Während der begeisterte Automobilist mit seinem NAG C4b, einem Sportwagen, 6.000 Kilometer im Revier zurücklegte, war er auch auf den Spuren seiner Jugend, denn zehn Jahre zuvor hatte es den jungen Hauser, kurz nach der Revolution, ins Ruhrgebiet verschlagen, wo er Hilfsarbeiter wurde.

Dieser autobiografische Hintergrund in Verbindung mit seiner sinnlichen Beobachtungsgabe sorgt dafür, dass die fiebrig-bedrohliche Stimmung dieses Landstriches am Ende der zwanziger Jahre in „Schwarzes Revier“ erfassbar wird: „Das Werk ist groß wie eine Stadt. Man hört von fernher das laute Bum-bum, mit dem die Kompressoren der Winderhitzer im Hochofenwerk arbeiten. Ich gehe dem Bumbum entgegen, ich gehe schnell, es ist ein weiter Weg, es ist fünfzehn Minuten vor sechs, vor sechs muß meine Karte gestochen’ sein.“

Doch auch den technisch-industriellen Prozessen weiß Heinrich Hauser etwas Berauschendes abzugewinnen: „Der Stahlblock, aus dem eine Platte gewalzt werden sollte, fiel dröhnend auf die eiserne Walzenstraße. Es war, als fiele die Sonne vom Himmel herab, weißglühend, geladen mit lebendiger Energie, eine strahlende Hitze, eine vierkantig konzentrierte Masse im Gewicht von dreißig Tonnen. Jetzt rollte sie vorwärts. Die Rollen der Walzenstraße bewegten den Block mit einer fast erschreckenden Schnelligkeit. Er erreichte die Walzen. Die glatten Walzenflächen drehten sich spiegelnd, nahmen den Block zwischen sich. Er fiel, wie ein Stier fällt, wenn der Hammer des Schlächters den Dorn in seine Stirn schlägt.“

Doch handelt „Schwarzes Revier“ nicht allein von der Stahlproduktion, sondern von deren Auswirkungen auf Landschaften und Städten, auf Wohngebiete und Transportwege, und – vor allem – auf die dort arbeitenden Menschen: „In den Kneipen spielen Radio und Klaviere. Man kann durch die offenen Türen die gedrängte Menge der Gäste sehen. Auffallend und typisch ist, wie alle diese Männer stehen. Sie halten sich in der Nähe der Theke auf, das Glas in der Hand, um es schnell wieder gefüllt zu kriegen. Stehen ist die natürliche Haltung des Proletariats, die Behäbigkeit des Sitzens fängt erst in bürgerlichen Lokalen an.“ Hauser zog aus seinen Beobachtungen vor Ort die Erkenntnis, dass „das Leben im Revier … heute kaum menschenwürdig und zivilisiert genannt werden (kann)“.

Das fertige Buch in seiner Verbindung von Fotografie und Text bezeichnete Hauser als ein „Experiment, ein lockeres Gewebe, das aus Elementen der Reisebeschreibung, des Essays und der Erzählung geflochten ist“. Wie kaum ein Autor in seiner Zeit dokumentierte Hauser dabei auch die ungeheuere Umweltzerstörung, von der das Ruhrgebiet in dieser Zeit betroffen war: „Landschaft, die halb bedeckt ist mit Glas, mit Stein, mit Eisen und zur anderen Hälfte nackte Erde, aufgerissen, aufgewühlt, beschmutzt, befleckt mit dem Abfall der Städte. Sehr viel künstlicher Dünger, sehr wenig Pflanzenwuchs.“

Vor Kurzem ist „Schwarzes Revier“ im Weidle-Verlag neu aufgelegt worden. Doch handelt es sich dabei nicht nur um ein Dokument seiner Zeit. Vor allem in seiner Mischung aus den eindringlichen Texten und außergewöhnlichen Fotos macht es gegenwärtig nachvollziehbar, weshalb Hauser zu dem Schluss kommt, dass man das Revier verlassen kann, „aber es bleibt ein Druck davon zurück“.

■ Bis 4. September 2011, Ruhr Museum auf Zollverein, Essen; Heinrich Hauser: „Schwarzes Revier. Reportagen“. Mit 127 Fotografien des Ruhrgebiets. Weidle Verlag, Bonn 2010, 224 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 19,90 Euro