: Unerlaubter Eingriff
Durchsuchungen in Redaktionen sind weiter möglich. Das höchste deutsche Gericht aber hat die Hürden dafür nun erhöht
VON CHRISTIAN RATH
Publizistisch ist das konservative Politmagazin Cicero noch weit von der Bedeutung des Spiegels entfernt. Rechtspolitisch hat die Potsdamer Zeitschrift nun aber aufgeschlossen. Die gestrige Cicero-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird bald mit dem Spiegel-Urteil des Jahres 1966 gleichgestellt werden. Cicero-Chef Wolfram Weimer war in Karlsruhe sogar erfolgreicher als einst Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein. Karlsruhe brandmarkte die Durchsuchung der Cicero-Redaktion als „nicht gerechtfertigten Eingriff in die Pressefreiheit“. Dagegen wurde die Verfassungsbeschwerde des Spiegels in ähnlicher Lage damals mit vier zu vier Richterstimmen abgelehnt – trotz vieler schöner Worte über die Pressefreiheit.
Anlass des gestrigen Grundsatzurteils war ein Cicero-Artikel des Autors Bruno Schirra. In einem Porträt über den inzwischen getöteten Al-Qaida-Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi zitierte Schirra ausführlich einen geheimen Bericht des Bundeskriminalamtes (BKA) – selbst die Telefonnummern von Sarkawi. Das BKA erstattete Strafanzeige wegen Verrats von Dienstgeheimnissen.
Direkt strafbar ist nach Paragraf 353 b des Strafgesetzbuches nur ein Amtsträger, der Informationen unbefugt weitergibt. Aber allein im BKA hatten 192 Personen Zugang zum Sarkawi-Bericht. Es war unklar, wer von ihnen den Bericht weitergab. Deshalb ermittelte die Staatsanwaltschaft auch gegen Schirra – wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat.
Das hat Karlsruhe nun nicht beanstandet. Auch Journalisten müssen bei ihren Recherchen die Gesetze beachten. Sie dürften deshalb auch keine Beihilfe zum Geheimnisverrat leisten. Durchsuchungen in der Redaktion sind möglich, wenn der Journalist nicht nur Zeuge, sondern selbst Beschuldigter ist.
Allerdings hat das Gericht die Hürden für Durchsuchungen in Redaktionen mit komplizierten Überlegungen höher gelegt als bisher. Die bloße Veröffentlichung eines geheimen Dokuments genüge nämlich nicht, den Verdacht einer Behilfe zum Geheimnisverrat zu begründen. Schließlich könne der Journalist das Dokument ja auch zufällig gefunden haben, so das Gericht. Denkbar sei zudem, dass der Journalist das Geheimdokument zwar von einem Informanten erhalten hat, aber nur zur persönlichen Meinungsbildung – nicht zur Veröffentlichung. Dann wäre der Verrat mit der Übergabe an den Journalisten beendet. Die folgende absprachewidrige Veröffentlichung wäre also keine Beihilfe zum Geheimnisverrat mehr, so die spitzfindig-präzise Argumentation der Verfassungsrichter. Die Veröffentlichung von geheimen Dokumenten an sich ist seit einer Liberalisierung 1979 gar nicht mehr strafbar.
Diese Auslegung wird die Ermittlungsbehörden sicher nicht erfreuen. Aber Karlsruhe will nicht, dass die Staatsanwaltschaft den Schutz der Redaktionsräume so einfach beseitigen kann. Dies soll verhindern, dass sie nur deshalb durchsucht werden, um Quellen zu enttarnen. Zur Pressefreiheit gehöre auch der Schutz des Informanten. Das hatte Karlsruhe erstmals im Spiegel-Urteil 1966 festgestellt. Doch was damals im Urteil eher versteckt war, rückt jetzt als Leitsatz nach vorn: „Durchsuchungen in einem Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige sind verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln.“
Sind Redaktionen für die Polizei damit tabu? Nein, eine Durchsuchung wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat bleibt möglich, wenn es neben der Veröffentlichung „spezifische tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür gibt, dass der Informant die Veröffentlichung des Papiers bezweckte. Mag sein, der Informant prahlt, er habe die Aufdeckung eines Skandals angestoßen. Wenn die Polizei davon hört, könnte sie dies doch zum Anlass nehmen, die Redaktion zu durchsuchen. Sie könnte Beweise suchen, die die Zusammenarbeit von Geheimnisverräter und Journalist belegen.
FDP, Grüne und Linkspartei fordern deshalb schon länger gesetzliche Änderungen. Journalisten sollen sich gar nicht mehr wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat strafbar machen können. Justizstaatssekretär Lutz Diwell (SPD) lehnte dies gestern ab. Er stellte nur kleine „abrundende“ Verbesserungen im Prozessrecht in Aussicht. Durchsuchungen wie bei Cicero kann es also auch in Zukunft noch geben, aber wohl viel seltener. Für Wolfgang Weimer hat sich der Tag gelohnt: Die Pressefreiheit wurde gestärkt – und Cicero um ein Vielfaches bekannter gemacht. (Az.: 1 BvR 538/06)