HAMBURGER SZENE VON KATHARINA SCHIPKOWSKI
: Ein Foto für alle Fälle

Die PassantInnen wirken verwirrt. Einige treten näher an den Kasten heran

Alter, ist das hier ’ne Freakshow oder was?“, fragt ein Jugendlicher mit dunkelroter Cap und grauer Röhrenjeans seinen Hipster-Kumpel. Die beiden drängeln sich in der Menge um eine Vitrine in der Spitaler Straße. Seit Montag werden hier Menschen ausgestellt. Am Mittwoch: Eine kleinwüchsige Frau in Pelzmantel und Pumps.

Auf einem durchsichtigen Hocker thront sie im Glaskasten und raucht. Vor ihr ein gläserner Tresen, darauf stehen verschiedene Cocktails. Ab und zu nimmt sie einen Schluck. Dann raucht sie wieder und wippt ein bisschen zur Musik. Im Kasten läuft House.

Während die Menschen von draußen rein starren, sitzt die Frau ganz gelassen da und guckt raus. Guckt sich um. Guckt, wer sie so anguckt. Nimmt Blickkontakt auf, sieht einem in die Augen. Sie flirtet. „Ceci n’est pas notre desir“ heißt die Installation – „Das ist nicht unser Begehren“.

Die PassantInnen wirken verwirrt. Einige ziehen die Stirn in Falten, treten einen Schritt näher an den Kasten heran. Aber bloß nicht zu nahe. Die Leute gucken sich gegenseitig an und fragen, was das jetzt solle. Zücken ihre Smartphones und machen mal ein Foto. Für alle Fälle. „Guck dir das an, die öffentliche Begaffung!“, schreit ein Mann, während er zielstrebig durch die Menge und am Kasten vorbei läuft. Ein Tourist beschreibt die Lage am Telefon: „I don’t know exactly what it is …“

Dann gehen plötzlich die Jalousien an allen vier Glaswänden runter. Die Musik verstummt. Und jetzt? Klappe zu, Affe tot? Wilde Mutmaßungen unter den PassantInnen gehen los: „Die sieht jetzt bestimmt gleich anders aus“, „Da ist bestimmt jetzt jemand anderes drin.“

Eine Frau wird richtig böse. „Ich find’s blöd, hier Menschen auszustellen wie Gegenstände!“ Wut steht in ihrem Gesicht. Und was soll das überhaupt alles, fragt sie, sie versteht das nicht. Die anderen Leute sind ebenso ratlos, aber wegzugehen, schafft irgendwie auch keiner.

Dann gehen die Jalousien wieder hoch. Die Musik geht wieder an. Die kleinwüchsige Frau in den knallroten Pumps sitzt immer noch da und raucht. Guckt gelassen in die Menge, die sie anglotzt. Nimmt einen Schluck von einem Cocktail. „Aber die Mucke ist ganz geil“, sagt ein Mädchen zu seiner Freundin und wendet sich ab.