: Jugend viel zu nett
Die Jugendkriminalität sinkt in Nordrhein-Westfalen weiter. Die CDU setzt trotzdem auf Null Toleranz, geschlossene Einrichtungen und „Erziehungscamps“ – und irritiert selbst FDP-Innenminister Wolf
VON MIRIAM BUNJES UND ANDREAS WYPUTTA
Die Jugendkriminalität in Nord-rhein-Westfalen sinkt. Das ist ein Ergebnis der Kriminalitätsstatistik für das Jahr 2006, die Landesinnenminister Ingo Wolf (FDP) gestern in Düsseldorf vorgestellt hat. Insgesamt registrierte die Polizei 134.289 jugendliche Straftäter, das sind 1,2 Prozent weniger als 2005. Die Jugendkriminalität ist damit stärker gesunken als die Zahl aller Straftaten: Diese nahmen um 0,8 Prozent auf insgesamt 1.491.897 ab.
Deutliche Rückgänge verzeichnet die Polizei besonders bei Wohnungseinbrüchen und Autodiebstählen. 2006 wurden 9.457 Wagen gestohlen, so wenige wie zuletzt 1963. Die Zahl der Einbrüche liegt mit 37.686 auf dem Stand von 1982. Sorgen bereiten dem Innenminister dagegen die von Jugendlichen begangenen Gewalttaten. Diese stiegen um 58 Prozent, besonders durch das so genannte „Abziehen“: Dabei rauben sich Jugendliche untereinander Handys, MP3-Player, teure Kleidung oder Bargeld.
CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst erneuerte trotz der insgesamt gesunkenen Jugendkriminalität die Forderungen seiner Partei nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts, forderte ein „härteres Durchgreifen“. Jugendliche Gewalttäter gehörten „in geschlossene Einrichtungen und Erziehungscamps“, so der 31-jährige Wüst. Bei Heranwachsenden im Alter von 18 bis 21 dürfe das Jugendstrafrecht nur noch in Einzelfällen angewandt werden, forderte auch der rechtspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Harald Giebels – und warnte vor „Jugendgangs“, die „ganze Stadtviertel in Angst und Schrecken versetzen“.
FDP-Mann Wolf distanzierte sich dagegen vorsichtig von den Hardlinern seines Koalitionspartners CDU. Er halte die bestehende Gesetzeslage für ausreichend. Zur Kriminalitätsprävention gehöre auch „eine gute Sozialpolitik“, so der Innenminister auf taz-Nachfrage. Problematisch sei, dass sich viele Jugendliche wegen fehlender Schulabschlüsse oder Lehrstellen als „Verlierer“ fühlten. Auch der innenpolitische Sprecher der SPD, Karsten Rudolph, forderte mehr Investitionen in Bildung und Ausbildung als „beste Vorbeugung“ vor Jugendkriminalität. Die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Monika Düker, warf den Christdemokraten ein „parteitaktisches Verhalten“ vor. Wüst wolle „auf dem rechten Flügel Stimmung machen“.
„Erziehungscamps sind in jedem Fall die falsche Lösung“, sagt auch Klaus Boers, Leiter des kriminologischen Instituts der Universität Münster. Sie seien auch in ihrem Mutterland USA nicht erfolgreich, zeigten immer mehr Studien. Für „Klassiker des rechten Populismus“ hält der Kriminologe die Reaktionen der CDU. „Rechte Parteien springen immer auf Jugendkriminalität an, linke auf Wirtschaftskriminalität.“ In diesem Jahr findet er die Reaktion der Konservativen dennoch überraschend: „Die Statistik bestätigt, was Forscher seit Jahren aus Dunkelziffer-Erhebungen wissen: Die Kriminalität geht zurück – vor allem in Bereichen, die die Bevölkerung besonders verängstigen, wie Einbrüche und Vergewaltigungen“, sagt Boers. Und auch die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen sei nicht zwangsläufig gestiegen, es würden nur mehr Anzeigen erstattet. „Das liegt auch daran, dass die Polizei in NRW deutlich mehr Präventionsarbeit zum Beispiel an Schulen macht.“ Zudem verfolge die Polizei in NRW seit 1998 „leichte Körperverletzung“, die zuvor häufiger zivilrechtlich geklärt wurden. „Und dass dies die Statistik verzerrt, wissen alle Experten und eigentlich auch die zuständigen Politiker.“