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Archiv-Artikel

Selbstsicher erst mit den Jahren

SPÄTGEBÄRENDE I In Berlin ist inzwischen fast jede vierte Schwangere 35 Jahre oder älter. Viele Frauen mittleren Alters scheitern allerdings im Vorfeld daran, schwanger zu werden

Geburten in Ost und West

■ Frauen in Deutschland bekommen ihre Kinder immer später. Nach einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung stieg das durchschnittliche Geburtsalter in Deutschland von 2002 bis 2006 kontinuierlich von 29,8 auf 30,1 Jahre an. Das höchste Alter registrierte man in Hamburg, Baden-Württemberg, Bayern und Hessen; in diesen Bundesländern lag im Jahr 2006 das Durchschnittsalter der Mütter bei den Geburten zwischen 30,6 und 31,0 Jahren. In den fünf östlichen Bundesländern betrug es nur 28,6 Jahre, fast zwei Jahre weniger als im Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer (30,4 Jahre).

VON JANET WEISHART

Warum sie so spät Mutter wurde? Die Berlinerin Jana Juni blickt zurück auf ihr bisheriges Leben: „Da war nie Zeit für ein Kind.“ Als Grundschullehrerin in Meiningen wurde sie nach fast vier Jahren plötzlich gekündigt. Mit 25 Jahren fing die Jobsuche erst richtig an: Umschulung, Umzug nach Berlin, erst „rumjobben“, dann Kunstbücher verlegen.

Heute lebt die 40-Jährige in Berlin-Pankow, und ihre Tochter Marta, acht Monate, ist ihr „größtes Glück“. Jana Juni weiß, dass sie eine sogenannte späte Mutter ist, aber das stört sie nicht. Schließlich ist Berlin die „Hauptstadt der Spätgebärenden“. Zu den erstgebärenden Frauen ab 35 Jahren, die Soziologen oft als „späte Mütter“ und Mediziner als „Risikoschwangere“ bezeichnen, gehört hier beinahe jede vierte.

Bundesweit ist das Durchschnittsalter Erstgebärender mittlerweile auf über 30 Jahre gestiegen. Auch Professor Ernst Beinder, Klinikleiter der Klinik für Geburtsmedizin an der Charité Berlin, betreut immer mehr „Risikoschwangere“: „Viele Frauen beschäftigen sich erst dann mit der Kinderplanung, wenn sie Karriere gemacht haben. 20 Prozent von ihnen planen sogar bewusst keine Kinder und orientieren sich dann erst nach der Selbstfindungsphase um.“ Dazu gehören in Berlin laut Beinder insbesondere Akademikerinnen. Neben der Bildung spiele aber auch der soziale Status eine Rolle. Beinder: „Je höher der ist, desto geringer die Geburtenrate.“

Bildung und Autonomiestreben sind laut der Berliner Medizinpsychologin Beate Schultz-Zehden aber nicht die entscheidenden Faktoren fürs späte Familienglück: „Der häufigste Grund ist, dass den Frauen der geeignete Partner fehlt.“

Auch bei Jana Juni weckte erst der richtige Mann den Wunsch nach Kindern. „Vorher hatte ich meist Beziehungen mit Künstlern, die weder das Geld noch den Mut hatten, für eine Familie Verantwortung übernehmen zu wollen“, sagt sie. Der Vater der kleinen Marta ist Kubaner, 37 Jahre, Tänzer. Kinder gehören für ihn zum Leben wie Bewegung und Musik, hat er immer gesagt. Er und Jana wollten eigentlich fünf Kinder.

Doch die Beziehung zerbrach. Nun erzieht Jana ihre Tochter allein. Für ein zweites Kind, das sie sich noch wünscht, fehlt ihr nun wieder der passende Partner. Jetzt sucht sie „einen älteren Mann, der selbst keine oder schon Kinder hat und die Verantwortung auf sich nimmt“, obwohl sie sich der medizinischen Risiken einer späten Schwangerschaft bewusst ist.

Die erste große Hürde sei aber, so Professor Beinder, überhaupt schwanger zu werden: „Mit 40 Jahren liegen die Chancen für eine erfolgreiche Schwangerschaftsplanung bei 65 Prozent, mit 45 Jahren nur noch bei 5 Prozent. Das Problem per se ist eine höhere Frühgeburtsrate.“ Auch während der Schwangerschaft könnten Komplikationen wie Bluthochdruck und Diabetes auftreten.

Späte Schwangere, die keine Mehrlinge erwarten und die über das erste Schwangerschaftsdrittel hinweg sind, haben gute Startchancen

Reproduktionsmediziner Matthias Bloechle vom Kinderwunschzentrum an der Gedächtniskirche kennt die Leidenswege älterer Frauen zum Wunschkind: „Viele versuchen zu spät, schwanger zu werden. Es besteht die Meinung, sicher durch prominente Beispiele geprägt, mit 50 noch mal Mutter werden zu können. Aber das ist nicht die Regel. Die vielen Frauen, die es nicht mehr schaffen, die im Dunkeln, sieht man nicht.“

Frauen ab Mitte dreißig, die doch schwanger werden und ein Kind wollen, sollten laut Charité-Mediziner Beinder entspannt bleiben: „Späte Schwangere, die keine Mehrlinge erwarten und die über das erste Schwangerschaftsdrittel hinweg sind, haben gute Startchancen.“ Hebamme Andrea Schnitt vom Berliner Hebammenladen im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg macht Spätgebärenden in medizinischer Hinsicht ebenso Mut. Als etwas problematisch empfindet sie eher die Einstellung der Frauen: „Sie sind oft überinformiert und sehr kopflastig. Vom Kopf in den Bauch zu kommen ist für sie schwierig.“

Gerade Akademikerinnen haben laut Schnitt häufig einen Perfektionstick. „Wenn die Situation nach der Geburt dann anders ist, das Kind als unberechenbar empfunden wird, dann gibt es oft Schwierigkeiten“, sagt sie. Wichtig ist dann ein gutes Netzwerk. Schnitt empfiehlt: „Ältere sollten sich Gleichgesinnte suchen bei Kursen wie Yoga, Bauchtanz oder in der Geburtsvorbereitung.“

Jana Juni hat genau das getan, und so kennt sie nun einige Mütter, mit denen sie sich über Fragen wie Schlafmangel oder Stillprobleme unterhalten kann. „Mein Vorteil als ältere Mutter ist, dass ich nie das Gefühl habe, etwas zu verpassen. Ich tanze ja gern Swing und würde auch gern mein Fernstudium beenden –aber das muss halt warten. Es gibt ja wieder andere Zeiten“, sagt sie. „Ich glaube, als junge Mutter wäre ich nicht so selbstsicher gewesen“, sagt Juni.