Senioren wollen beim Alten bleiben

WOHNEN Ein Seniorenhaus in Moabit soll modernisiert werden, die Mieten um 60 Prozent steigen. Die Bewohner wehren sich

TEXT ANNA BORDEL
FOTOS AMÉLIE LOSIER

Zwei Fensterfronten, Blick auf die Spree, Terrasse – dass ihre Wohnung ein Seniorentraum ist, weiß Annemarie Trebuth. Umso mehr möchte sie, dass das auch so bleibt. Seit 17 Jahren lebt die 83-Jährige im Seniorenhaus am Hansa-Ufer 5 in Moabit. Damals habe der Bezirk Mitte damit geworben, dass ältere Menschen in diesem Wohnhaus ihren Lebensabend ruhig verbringen können, sagt sie.

Jetzt aber steht genau diese Sicherheit auf der Kippe. 2008 hat das schwedische Immobilienunternehmen Akelius das Haus vom Land Berlin gekauft. Im ganzen Haus sind nun Modernisierungsmaßnahmen geplant – was die Miete um 60 Prozent in die Höhe treiben könnte, wie Akelius bestätigt. Das Wohnhaus soll nicht nur energetisch saniert werden, auch ein Penthouseaufbau ist geplant. Annemarie Trebuths Einzimmerwohnung soll mitsamt der Terrasse zu einer größeren Wohnung umgebaut werden. „Wenn die Arbeiter zum Baubeginn kommen, hole ich die Polizei“, sagt Trebuth.

Den Bescheid über die Maßnahmen bekamen die Bewohner bereits im April. Sie verständigten sich schnell darüber, dass sie die angekündigten Veränderungen nicht mittragen wollen – denn die angepeilte Miete von rund 800 Euro können sich die meisten von ihnen nicht leisten. Eine Klausel, die die Mieter vor Wucher im Falle einer Modernisierung schützt, war in dem Mietvertrag, den die Bewohner mit dem Bezirk abgeschlossen hatten, nicht enthalten. Mittes Sozialstadtrat Stephan von Dassel (Grüne) gibt zwar zu, dass dies ein „Fehler“ war – sieht für den Bezirk aber kaum noch Handlungsspielraum.

Seit Akelius das Haus am Hansa-Ufer 5 vor sechs Jahren übernommen hatte, waren immer mehr junge Bewohner eingezogen, weil es seitdem kein explizites Seniorenhaus mehr ist. Dennoch machen Ältere noch immer fast die Hälfte der Bewohner aus. Viele von ihnen sind über 75, manche sogar über 90 Jahre alt. 16 Bewohner reichten auf den Modernisierungsbescheid hin ihre Kündigung ein, darunter allerdings nur eine Seniorin – die anderen wollen sich wehren.

Die Tochter einer der Mieterinnen hilft nun bei der Organisation: Zusammen mit der Plattform change.org starteten die SeniorInnen eine Onlinepetition, in der sie das rücksichtslose Verhalten von Akelius anprangern. Mehr als 56.000 Menschen haben bereits unterschrieben.

Das zeigte auch bei Akelius Wirkung: Geplant war der Baubeginn noch diesen Sommer. „Jetzt suchen wir erst mal den Dialog mit den Mietern und versuchen, Gemeinsamkeiten zu finden“, sagte Ralf Spann von der Immobiliengesellschaft der taz. Je nachdem, wie lange das dauere, verzögere sich der Baubeginn auf Herbst oder Frühjahr.

Die SeniorInnen aus dem Hansa-Ufer 5 treffen sich mittlerweile regelmäßig in ihrem Gemeinschaftsraum, wenn es Neuigkeiten gibt – so auch Anfang dieser Woche. 16 BewohnerInnen kommen zusammen, unter ihnen auch die älteste mit 97 Jahren, denn es gibt einen weiteren Teilerfolg zu vermelden: Akelius hat sich mündlich bereit erklärt, wie Sprecher Spann bestätigt, auf soziale Härtefälle einzugehen und nur eine geringe Mieterhöhung zu fordern. Dies auch schriftlich festzuhalten, wäre für die MieterInnen ein großer Erfolg. Gemeinsam mit einem Rechtsanwalt wollen sie sich nun auf konkrete Gespräche mit Akelius vorbereiten.

Es geht den BewohnerInnen allerdings nicht nur darum, horrende Mieten zu verhindern – sondern auch um die drohende jahrelange Belastung durch einen Umbau. Häufiger ohne Wasser oder Strom auszukommen, sagen viele, sei für sie im Alltag allein in gesundheitlicher Hinsicht undenkbar: Sie müssen Medikamente nehmen oder sind auf den Fahrstuhl angewiesen. Viele können auch einfach nicht verstehen, wieso das Haus überhaupt umgebaut werden soll.

„Ich fühle mich mit dem Haus verkauft“, ruft ein Bewohner. „Dass wir uns zusammentun, macht Akelius Angst. Deshalb kommen sie nicht. Wir geben keine Ruhe!“, ruft eine andere.

Annemarie Trebuth erzählt der Runde, wie sie einige Tage zuvor bei Akelius angerufen habe, um dem zuständigen Berater zu sagen, dass die „Modernisierung völliger Quatsch“ ist. Das ganze Vorhaben müsse gestoppt werden, sagt sie und erntet zustimmendes Raunen. Der Berater von Akelius habe daraufhin allerdings das Gespräch abgebrochen.

Auch an den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und Bausenator Michael Müller (beide SPD) habe sie einen Brief geschrieben, sagt Trebuth und wedelt mit einem handgeschriebenen Bogen Papier. Denn da sind sich alle einig: Schuld daran, dass die SeniorInnen im Hansa-Ufer 5 ihren Lebensabend eben nicht in aller Ruhe verbringen können, ist die Politik.

Petition unter www.change.org