„Von Airbus unabhängig machen“

Mitarbeiter von Airbus im niedersächsischen Varel fühlen sich „verarscht“: Obwohl die Auftragsbücher voll sind, wird ihr Werk verkauft. Der Wirtschaftsförderer arbeitet nun an einem „Masterplan“ – um den Ort unabhängig zu machen vom Großkonzern

AUS VAREL ARMIN SIMON

Sie haben ihre Jacken angelassen, trotz allem oder gerade deswegen. Blau sind die, und auf dem Rücken prangt, in weißen Lettern, der Name ihres Arbeitgebers: „Airbus“. Die Jacken sollen wärmen und schützen gegen Wind und Wetter.

Dabei fühlen sich die Aluminium-ExpertInnen und Zerspanungsprofis, die fahneschwenkend vor dem Werkstor in Varel stehen, gerade selbst im Regen stehen gelassen – von ihrem Arbeitgeber. Keiner der Airbus-Flieger wäre ohne die hier gefertigten Teile in der Luft. Airbus aber wolle die Produktionsstätte „verkaufen“, verkündete Airbus-Chef Louis Gallois am Mittwochnachmittag. Seither ruht hier die Arbeit.

„Wir sind uns keiner Schuld bewusst“, sagt Betriebsrat Dieter Lange. Hunderte stehen frühmorgens vor dem Tor, „Betriebsversammlung“ nennen sie es. Das Tor selbst bleibt zu. „Hochflexibel, hoch motiviert“ sei man hier eigentlich, unterstreicht Lange – und: im konzernweiten Ranking „unter den Besten“.

2006 war das Jahr mit dem höchsten Ausstoß, die Auftragsbücher sind voll. Um einen „Vertrauensvorschuss“ bat die Geschäftsführung vor einem Monat. Lange fühlt sich jetzt „verarscht“.

„Wenn einer von uns angegriffen wird, werden wir alle angegriffen“, steht auf himmelblauen Transparenten. Es herrsche „große Hilflosigkeit“, sagt ein Azubi.

Noch im November war von Expansion die Rede. Der Konzern, der sonst jedes Teil über Tausende von Kilometern verschifft, fährt, fliegt, wollte die Vareler Zulieferfirmen in direkter Nachbarschaft ansiedeln – um Transportkosten zu senken. Fünf Hektar groß sollte das Gewerbegebiet werden. Inzwischen ist der Aeropark auf Eis gelegt.

Bernd Bureck war nicht vor dem Tor gestern. Obwohl sich das für den Geschäftsführer der Vareler Wirtschaftsförderungs-Gesellschaft vielleicht gehört hätte. Bureck bastelt an diesem Morgen am „Masterplan“. „Industrie- und Gewerbecampus Varel“ heißt sein Projekt – ein Gewerbegebiet ergänzt um ein virtuelles Unternehmensnetzwerk.

Mittelständler sollen sich dort zusammenschließen, gemeinsam Aufträge akquirieren, „wie sonst ein Konzern“. Bureck hat sich mit dieser Idee um seinen Posten beworben, vor vier Jahren. Es war ein neu geschaffener Posten, damals, und Bureck stieß überall auf verschlossene Türen.

„Unabhängig von Airbus machen“ wollte er Varel. Alle haben ihn ausgelacht. Airbus war im Höhenflug, „die haben sich dauernd gefeiert“, erinnert er sich – „Ich bin nicht so richtig gehört worden.“

Der Verkauf des Vareler Airbus-Werkes sei nur eine „Option“, betont Betriebsrat Lange. Über die Hälfte seines Lebens arbeitet der 50-Jährige bereits beim großen Flugzeugbauer. Er weiß, wie das läuft mit den Sparprogrammen. 1995 etwa sorgte nicht „Power 8“, sondern „Dolores“ für Schlagzeilen. Von 1.500 Stellen in Varel sollten 280 bleiben.

Das Beinahe-Aus, unterstreicht Lange, habe sich damals „erfolgreich abwenden lassen“. Nicht ohne Opfer, klar: Sozialzahlungen fielen weg, die Belegschaft schrumpfte, „sozialverträglich“ auf 1.080 MitarbeiterInnen, die seither auch am Wochenende arbeiten.

Inzwischen sind es fast wieder 1.500. Viele haben hier gebaut, man verdient gut bei Airbus. „Wir haben noch die 35-Stunden-Woche“, sagt Lange mit Stolz. Die allermeisten KollegInnen sind in der Gewerkschaft. In den Tarifverhandlungen hat sie 6,5 Prozent mehr Lohn verlangt.

An verbaler Unterstützung für die Airbus-Beschäftigten mangelt es nicht. Ein Dutzend BürgermeisterInnen und Landräte rief Anfang Februar zur großen Solidaritätsdemo vor das Werkstor. „Airbus ist der größte und wichtigste Arbeitgeber im Landkreis Friesland“, heißt es in einer gemeinsam verabschiedeten Resolution. Und dass man dem „drohenden Strukturabbau massiven Widerstand entgegensetzen“ werde.

„Aktionismus“ nennt Bureck all das. Er setzt auf seinen Gewerbecampus. „Am Ende wird man fragen: Was ist noch übrig“, prophezeit er. Der „Masterplan“ ist schon in der Endredaktion.