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Archiv-Artikel

Gerechtigkeit für die Opfer

Manfred Messerschmidt hat über viele Jahre wesentlich dazu beigetragen, die Schrecken der Wehrmachtjustiz zu enthüllen. Sein neuestes Werk zieht eine umfassende Bilanz der Terrorjustiz und dürfte auf absehbare Zeit das Standardwerk zum Thema sein

Das positive Bild von der Wehrmachtjustiz wurde in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich von Repräsentanten ebendieser Justiz geprägt. Viele von ihnen hatten wieder einflussreiche Positionen inne – wie der ehemalige Militärrichter Erich Schwinge, der auch Autor des meistbenutzten Kommentars zum Militärstrafgesetzbuch war. Er brachte es nach 1945 zum Rektor der Universität Marburg.

Zusammen mit seinem publizistisch ungemein regen Kollegen Otto Peter Schweling trug er zum positiven Image der Militärrichter bei, so etwa noch 1977 in „Die deutsche Militärjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus“. Sie sei, so wollten beide glauben machen, auf Distanz zum Hitler-Regime gegangen und habe sich immer an rechtsstaatliche Prinzipien gehalten. Erst der Fall Filbinger hat 1978 eine intensive und kritische Beschäftigung mit der Militärjustiz in der NS-Zeit angestoßen.

Eine Frucht dieses neu erwachten Interesses stellte das Werk „Die Wehrmachtjustiz im Dienste des Nationalsozialismus. Zerstörung einer Legende“ dar, das Manfred Messerschmidt und Fritz Wüllner 1987 veröffentlichten. Es räumte mit der beschönigenden Sicht von Schweling, Schwinge und anderen gründlich auf. Die Forschungen über Wehrmacht und Militärjustiz wurden seit den 90er-Jahren von einem großen öffentlichen Interesse begleitet. Sie beschleunigten den schon früher begonnenen Meinungswandel über die Rolle der Wehrmacht in der NS-Zeit, indem sie quellenmäßig abgesicherte, also verlässliche Informationen aufbereiteten.

Eine Vielzahl von Forschungsarbeiten zur Militärjustiz befasste sich nun endlich auch mit den Opfern, den so genannten Wehrkraftzersetzern und Kriegsdienstverweigerern, den Deserteuren und anderen widerständigen „kleinen Leuten in Uniform“. Messerschmidts neues Werk über „Die Wehrmachtjustiz 1933–1945“ dürfte nun eine jahrzehntelange und äußerst strittige Rezeptionsgeschichte zu einem vorläufigen Abschluss bringen.

Manfred Messerschmidt geht zunächst auf die Vorgeschichte der Wehrmachtjustiz ein. Er zeigt, aus welchen Quellen sich die rechtspolitischen Grundsätze des nationalsozialistischen Denkens entwickelten. Besonders weist er auf die Bedeutung der Niederlage von 1918 hin, die – aus der Sicht der deutschen Nationalisten – auch etwas mit der mangelnden Härte der damaligen Militärjustiz zu tun hatte. Erst vor dem Hintergrund von Hitlers Vorwurf, die Militärjustiz habe im Weltkrieg 1914–1918 versagt, wird der vorauseilende Gehorsam der Militärrichter im Zweiten Weltkrieg verständlich, der sich zudem in übermäßiger Härte niederschlug.

Mit dem Regierungsantritt Hitlers wurde die Militärjustiz wieder eingeführt, die sich bald zu einem willigen Vollzugsorgan der NS-Ideologie entwickelte. Nun wurden alle tradierten rechtsstaatlichen Prinzipien bedeutungslos. Ersetzt wurden sie durch den Grundsatz: Der Wille des Führers ist die maßgebliche Quelle des Rechts. Messerschmidt erklärt, dass der Militärjustiz dieser Weg nicht aufgezwungen werden musste, sondern dass sie ihn eigenständig und in wachsender Nähe zur NS-Ideologie beschritt. Die 1939 erlassene „Kriegssonderstrafrechtsverordnung“ gab den Juristen für die Kriegsjahre ein scharfes Machtmittel an die Hand, nicht zuletzt die Todesstrafe für die „Schwachen“, die „Zersetzer“ und die „Kampfunwilligen“.

Umfangreiche Teile des Buches sind dem Wirken der Wehrmachtjustiz im Zweiten Weltkrieg gewidmet. Es bezog sich zum einen auf die Angehörigen der Wehrmacht, zum anderen auf Zivilpersonen in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten und des Weiteren auf Kriegsgefangene. Eine besondere Betrachtung widmet Messerschmidt dem Bewährungs- und Lagersystem, den Sonderformationen („Bewährungsbataillonen“) und Wehrmachtgefängnissen, in denen die Opfer dieser Justiz zu leiden hatten. In der Endphase des Krieges radikalisierte sich die Wehrmachtjustiz noch einmal und entfernte sich vollends von rechtsstaatlichen Grundsätzen. Die Bilanz der deutschen Militärjustiz in der NS-Zeit ist niederschmetternd, weil im historischen wie im internationalen Vergleich einmalig: Mindestens 25.000 Wehrmachtangehörige wurden zum Tode verurteilt, etwa 18.000 von ihnen hingerichtet.

In einem Epilog beleuchtet der Autor die schleppende Aufarbeitung des Justizunrechts der NS-Zeit. Erst 50 Jahre nach Kriegsende, am 16. November 1995, kam der Bundesgerichtshof, das in Sachen Strafgerichtsbarkeit höchste deutsche Gericht, zu einer eindeutigen Aussage. In einem Aufsehen erregenden Urteil, das den inzwischen erreichten, von Manfred Messerschmidt maßgeblich mit geprägten Stand der Forschung widerspiegelte, stellte er fest: Die Kriegsrichter der NS-Zeit hätten die Todesstrafe missbraucht und sie hätten als „Terrorjustiz“ gehandelt.

Richter, die in der NS-Militärjustiz tätig gewesen waren und danach in der Bundesrepublik ihre Laufbahn fortgesetzt hatten, bezeichnete der Bundesgerichtshof als „Blutrichter“, die sich eigentlich „wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Kapitalverbrechen hätten verantworten müssen“. Tatsächlich haben sich die Wehrmachtjuristen dieser Verantwortung jedoch erfolgreich entzogen. WOLFRAM WETTE

Manfred Messerschmidt: „Die Wehrmachtjustiz 1933–1945“. Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Paderborn, Verlag Ferdinand Schöningh, München u. a. 2006, 528 Seiten, 39,90 Euro