: Jugendliche raus, christliche Sekte rein
Nach der Räumung eines besetzten Jugendzentrums in Kopenhagen haben sich Protestierende und Polizei schwere Straßenschlachten geliefert. Die BesetzerInnen hatten zuletzt einiges an Solidarität verloren. Neue Demos am Wochenende
VON REINHARD WOLFF
209 Festnahmen, mehrere verletzte Personen, davon vier so schwer, dass eine Krankenhausbehandlung erforderlich wurde, und erhebliche Sachschäden in weiten Teilen der Innenstadt waren gestern die vorläufige Bilanz der zum Teil gewaltsamen Proteste, die am Donnerstag in Kopenhagen nach der Räumung eines autonomen Jugendzentrums ausgebrochen waren. Während gestern Nachmittag noch weitgehend Ruhe herrschte, bereitete sich die aus ganz Dänemark in der Hauptstadt zusammengezogene Polizei auf mögliche neue Demonstrationen am Abend und am Wochenende vor. Auch in Deutschland, Österreich, Schweden und Norwegen hatte es Sympathiekundgebungen vor dänischen Auslandsvertretungen gegeben, bei denen es teilweise ebenfalls zu Ausschreitungen und polizeilichen Festnahmen kam.
Auslöser aller Proteste war die Räumung des Jugendzentrums Jagtvej 69 im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro durch die Antiterroreinheit der Polizei am frühen Donnerstagmorgen. Diese hatte mit einem minutiös geplanten Großeinsatz die dort Anwesenden mit Tränengas, Wasserwerfern und von Hubschraubern auf dem Dach abgesetzten Beamten weitgehend überrascht. Die eigentliche Räumung des Gebäudes traf so auf keinen großen Widerstand und war binnen weniger Stunden vorüber. Gestern waren Bauarbeiter bereits dabei, das Haus unter Polizeischutz zu entrümpeln. Der neue Eigentümer hat angekündigt, noch am Wochenende entscheiden zu wollen, ob das Gebäude renoviert oder abgerissen werden soll.
Die Nutzung des Jugendhauses im Jagtvej 69 war seit Jahren umstritten. Ursprünglich 1982 von der Stadt Kopenhagen an verschiedene Jugendinitiativen zur selbstständigen Nutzung überlassen, hatte eine Mehrheit des Stadtrats 1999 einen Brand zum Vorwand genommen, dieses politisch unbequem gewordene Zentrum für einen großen Teil der autonomen Szene der Hauptstadt offiziell für geschlossen zu erklären. Ohne den NutzerInnen eine Alternative angeboten zu haben, war es von der Stadt dann an eine kleine, aber offenbar zahlungskräftige christliche Sekte verkauft worden. Dieses „Faderhuset“ will dort in dem zu einem großen Teil von AusländerInnen muslimischen Glaubens bewohnten Nørrebro offenbar ein christliches Missionszentrum errichten.
Nachdem die Drohung einer Räumung im Dezember zu schweren Unruhen geführt hatte (taz vom 18. Dezember), waren Verhandlungen zwischen Jagtvej 69 und der – zwischenzeitlich von einer Linkskoalition geführten – Stadt Kopenhagen geführt worden. Die scheiterten allerdings letztendlich, entweder weil die angebotenen Alternativgebäude nicht geeignet waren oder weil sich die Jugendlichen mit der Stadt nicht über die Bedingungen einer Nutzung einigen konnten.
Noch am Abend vor der Räumung hatte es einen letzten Vermittlungsversuch gegeben, den der Vertreter von Jagtvej 69 als Erfolg versprechend bewertet hatte, während die Stadtverwaltung von einem endgültigen Scheitern sprach.
Dass durchweg alle von der Stadt angebotenen Alternativen für die Vertretung des Jugendzentrums nicht akzeptabel schienen, hat diese allerdings einen Teil der Unterstützung gekostet, die man vorher in der Öffentlichkeit genossen hatte. Auch einige der Sponsoren, welche zusammen fast zwei Millionen Euro für einen Loskauf des Hauses beziehungsweise eine Alternativlösung gesammelt hatten, hatten sich in den letzten Wochen zurückgezogen.
Kopenhagen dürfte ein unruhiges Wochenende bevorstehen. Für Samstag kündigten AktivistInnen eine weitgehende Lahmlegung des Verkehrs in der Kopenhagener Innenstadt an, auch mithilfe von Sympathisantinnen, die aus Deutschland, Schweden und Norwegen erwartet werden. Die allerdings will die Polizei nach eigener Ankündigung bereits an der Grenze stoppen.
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