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Archiv-Artikel

Der singende Präsident

Hugo Chávez und die Medien (2): Mit „Aló Presidente“ ist der venezolanische Regierungschef jetzt bis zu fünfmal pro Woche auf Sendung. Auch sonst überwiegt im Fernsehen die Propaganda

AUS CARACAS GERHARD DILGER

Dass Hugo Chávez ein begnadeter Kommunikator ist, räumen selbst seine schärfsten Kritiker ein. Seit Mai 1999, wenige Monate nach seinem Amtsantritt, erklärt der venezolanische Präsident dem Volk sich, die Welt und seine bolivarianische Revolution am liebsten in „Aló Presidente“. Die sonntägliche Live-Fernsehshow kann schon mal sieben Stunden lang dauern.

Dozierend, plaudernd und singend, mit ausgewählten Anrufern oder Ministern als Stichwortgebern, kann sich der Staatschef nach Herzenslust in Szene setzen. Besonders bei vielen armen VenezolanerInnen, die Chávez abgöttisch verehren, ist die Sendung ein Renner.

Nach 264 Folgen beschloss Chávez jetzt, „Aló Presidente“ auszuweiten. Nun läuft die Show bis zu fünfmal in der Woche abends für jeweils mindestens anderthalb Stunden – donnerstags im Fernsehen, ansonsten im Radio. „Wir müssen die ideologische Schlacht verschärfen“, begründete der Presidente die Reform und kündigte für jede Sendung Exklusivmeldungen an.

Und tatsächlich schafft er es fast immer in die Schlagzeilen, so wie am letzten Mittwoch, dem Morgen nach dem Anruf Fidel Castros (siehe Kasten). 25 Minuten parlierten die beiden über den Gesundheitszustand des Máximo Líder, den chinesischen Börsencrash, die Gefahren des Biosprits Ethanol für die Nahrungssicherheit – und ihren Plan, mit vietnamesischer Beteiligung auf Kuba eine Energiesparlampenfabrik bauen zu lassen. In der Sendung zwei Tage darauf versprach Chávez seinem bolivianischen Kollegen Evo Morales live zusätzliche 10 Millionen Dollar Hilfe gegen die dortigen Überschwemmungen.

Die Dauerbeschallung ist Teil der Medienoffensive, mit der Chávez die „ideologische Schlacht“ beschleunigen will. Dabei stehen in den letzten Wochen „Moral und Aufklärung“ im Vordergrund: In Schnellkursen werden junge Brigadisten ausgebildet, die in der Bevölkerung für sozialistische Werte werben sollen. In „Aló Presidente“ empfiehlt Chávez dazu passende Bücher – von Che Guevara bis zum französischen Jesuiten Teilhard de Chardin. Oder er legt den Zuhörern den Hirtenbrief eines progressiven Bischofs ans Herz, in dem dazu aufgerufen wird, sich an der Debatte über den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ zu beteiligen.

Anhand einer Landkarte erläutert Chávez auch schon mal seine Handelspolitik mit den karibischen Kleinstaaten, aus Schaubildern über die steigenden Lebensmittelpreise leitet er die Notwendigkeit ab, mit harter Hand gegen Spekulanten vorzugehen. Immer wieder stimmt er dabei unvermittelt ein Liedchen an oder macht sich über US-Präsident Bush lustig.

Mit seiner quotenstarken Show stellt der Präsident sämtliche Propagandasendungen des Staatskanals VTV in den Schatten. Auch hier kommt die Bevölkerung meist nur in der Statistenrolle vor, abweichende Meinungen sind klar unerwünscht. Den Gipfel an schlechtem Geschmack stellt hier die abendliche Sendung „La Hojilla“ (Die Rasierklinge) dar – eine ganz unironisch daherkommende Trash-Version von „Aló Presidente“:

Der graubärtige Moderator Mario Silva, meist mit einer roten Baseballkappe uniformiert, sitzt an einem mit Revolutionsdevotionalien dekorierten Schreibtisch. Hinter ihm hängen Poster von Castro, Guevara, Chávez und dessen Vorbild Simón Bolívar. Am liebsten knöpft sich Silva die abstrusesten Meinungsbeiträge der Oppositionssender vor, lässt sie mehrmal hintereinander einspielen und zerlegt sie unter dem Triumphgeheul der Kameramänner – „ ‚La Hojilla‘ ist das Konterrevolutionärste überhaupt“, urteilt KP-Chef Jerónimo Carrera.

Der aus Erdölgeldern finanzierte Basiskanal Vive TV bemüht sich hingegen tatsächlich um eine andere Fernsehästhetik. Reporterteams schwärmen an die Basis, wo Kleinbauern lang und breit ihre Lage schildern, über fehlende Straßen, Stromleitungen und korrupte Bürgermeister klagen. „Dabei möchten wir immer gemeinschaftliche Lösungsperspektiven zeigen“, sagt Redakteurin Claudia Jardim.

In den Studios sitzen 20-Jährige aus der Vorstädten oder aus der Provinz, die sich in Caracas zu TV-Journalisten ausbilden lassen. „Wir streben einen anderen Rhythmus an als das Kommerzfernsehen“, sagt Jardim. „Unsere Zuschauer sollen keine Information konsumieren, sondern zu Kritik und Aktion angeregt werden, zum Subjekt werden. Zensur gibt es nicht“. Dass die meisten Dokumentationen dennoch recht hausbacken wirken, erklärt sie so: „Wir können nicht schneller laufen als das Volk.“

Noch mehr zeigen sich die Grenzen revolutionärer Freiheit an den Diskussionssendungen, die ebenso dröge sind wie jene im Staatskanal. So ist Vive TV unfreiwillig ein Symbol der bolivarianischen Revolution geworden: Vielversprechende Ansätze gehen im Korsett vorauseilenden Gehorsams unter. Und am Donnerstagabend läuft „Aló Presidente“.