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Archiv-Artikel

Geheuchelte Humanität

AUSTRALIEN Humanitäre Organisationen bezeichnen die Ankündigung der Regierung, 150 asylsuchende Kinder unter zehn Jahren aus der obligatorischen Internierungshaft zu entlassen, als „zynisch“

AUS CANBERRA URS WÄLTERLIN

Australiens konservativer Immigrationsminister Scott Morrison hat am Dienstag erklärt, 150 Kinder und ihre Familien aus Internierungslagern auf dem australischen Festland entlassen und der Kontrolle lokaler Gemeinden unterstellen zu wollen. Unter einem bereits von der früheren sozialdemokratischen Regierung verfolgten System werden Asylsuchende zwangsinterniert, wenn sie auf Booten australischen Boden oder Hoheitsgewässer erreichen. Mehrere von der jetzt beschränkten Freilassung betroffene Kinder sind seit über 14 Monaten hinter Gittern. Betroffen sind jedoch nur Kinder, die unter zehn Jahren sind. Das jüngste sei vier Jahre alt, so Flüchtlingsorganisationen. Geschätzte weitere rund 700 Minderjährige bleiben interniert.

Humanitäre Gruppen verurteilten die angekündigte Maßnahme mehrheitlich als politisch motivierten Schritt. Nicht nur habe schon die Vorgängerregierung die Freilassung geplant. Sophie Peer von der Flüchtlingshilfegruppe Chilout sprach gar von „einer zynischen Maßnahme“ im Vorfeld einer für Freitag geplanten Befragung Morrisons durch die australische Menschenrechtskommission. Der Minister muss sich dort gegen Vorwürfe verteidigen, er habe seine vom Gesetz vorgeschriebene Sorgfaltspflicht gegenüber den Unmündigen verletzt. Mehrere unabhängige Berichte attestierten zum Teil katastrophale Zustände in den australischen Internierungslagern. Ungenügende, überfüllte Unterkünfte, mangelhafte Ernährung, Wasserversorgung und Infrastruktur und fehlender Schutz von Frauen gegenüber männlichen Übergriffen seien Alltag. Ein Psychiater setzt das Internierungssystem „der Folter gleich“. Internierte werden nicht mit Namen angesprochen, sondern mit ihrer Nummer.

Weiter keine Chance auf Freilassung haben Kinder, die in australischen Lagern in Papua-Neuguinea, im Pazifikstaat Nauru sowie auf der australischen Weihnachtsinsel hinter Gittern leben.

Die Zwangsinternierung von Bootsflüchtlingen ist ein Kern der Politik der konservativen Regierung von Premierminister Tony Abbott. In den fünf Jahren bis 2012 schafften es pro Jahr durchschnittlich 2.831 Menschen per Boot in australische Gewässer, wo sie meist von der Marine aufgegriffen und in Lager gebracht wurden. Obwohl die Internierung extrem teuer ist, wird sie vom Großteil der Bevölkerung befürwortet. Oftmals rassistisch gefärbte Reaktionen in den Medien zeigen, dass die Herkunft und Religion der Asylsuchenden ein wesentlicher Grund für die Ablehnung der meisten Flüchtlinge sind. Denn die Mehrheit sind Muslime aus Iran, Irak und Afghanistan. Doch letztlich werden mehr als 80 Prozent der Asylsuchenden schließlich als Flüchtlinge anerkannt. Laut Abbott sollen sie trotzdem keinen Fuß auf australischen Boden setzen. Canberra verhandelt derzeit mit Kambodscha über eine Aufnahme von Flüchtlingen.

Abbott und Morrison behaupten, ihre Politik der Abschreckung zeige Wirkung. In den letzten Monaten habe es kein Boot in australische Gewässer geschafft. Die Regierung schweigt aber zur Frage, wie viele der oftmals kaum seetüchtigen Boote sie nach Indonesien zurückschickt. Diese von Jakarta verurteilte Praxis hat Canberras Beziehungen zum nördlichen Nachbarn schwer geschädigt.