Welt der Ideale

WA(H)RE SCHÖNHEIT 50 Starfotografen und ihre „Traummänner“ in den Hamburger Deichtorhallen

„Das Wesen des Menschen bei der Aufnahme sichtbar zu machen“, schrieb der Autor und Hobbyfotograf Friedrich Dürrenmatt, „ist die höchste Kunst der Fotografie.“ Und jede Ausstellung über Porträtfotografie sollte sich an diesem Anspruch wohl besonders messen lassen.

Die neue Schau der Hamburger Deichtorhallen hat sich dagegen vordergründig ganz der Oberfläche verschrieben. Vor zwei Jahren präsentierte das Haus der Fotografie „Traumfrauen“. Nun folgt das Parallelkonzept „Traummänner“. 50 Starfotografen führen auf über 150 Abzügen „ihre Vision vom Ideal“ vor.

Und um es vorwegzunehmen: Während den Traumfrauen überwiegend sanft geschwungene Kurven abverlangt wurden, muss der angeblich „ideale“ Kerl zudem Kratzer aufweisen. Er muss an einer wohlbedachten Sollbruchstelle einknicken. Er muss demütig und er muss Denker sein. Doch der Reihe nach.

Zunächst scheint es, als versammle die Schau nur die gängigsten Männerfantasien. Al Pacino in Nadelstreifen lächelt wie ein sizilianischer Bunga-Bunga-Club-Betreiber. Johnny Depp guckt böse und dabei so bemüht, dass es wehtut. Jed Baker erscheint als sensibler Zwillingsbruder von Motörhead-Frontmann Lemmy. Der Maler Francesco Clemente sieht aus wie Sean Connery. Michael Stipe von REM sieht auch aus wie Sean Connery. Peter Lindbergh zeigt, dass der Künstler Andreas Gursky aussehen kann wie George Clooney. Liz Collins zeigt, dass auch Daniel Craig aussehen kann wie George Clooney. Martin Schoeller schließlich hat ihn fotografiert: George Clooney.

Dazwischen blank gezogene Genitalien, abgelichtet von Nadav Kander, glänzend und leblos wie Industrieprodukte. Einige der dargebotenen Gestalten möchte man mit dem Flammenschwert gegen das Böse in der Welt verteidigen, etwa die „Prague Boys“ von Ali Kepenek.

Der Kontrast aber, der erst dazu führen könnte, dass das „Ideale“ seine Strahlkraft voll entfaltet, fehlt; und so wirkt auf den ersten Blick nichts langweiliger als so viel Perfektion. Der Mann, Mensch, wird als konsumierbare Ware angepriesen: Gesäß ist geil, Geist ist geil, geil ist geil.

Doch gelingt es den Kuratoren, auch eine nachdenkliche Metaebene einzuziehen. Der Betrachter findet sich in einer menschengemachten Kunst-Realität wieder. Die Porträts zu allen Seiten erscheinen wie eine ungesunde Überzuckerung der Wirklichkeit. Subtil, fast ironisch führt die Schau vor, was die Gesellschaft ihrem „idealen Mann“ inzwischen abverlangt: Nicht nur schön und interessant muss er sein, gleichmäßig ausgeleuchtet und gephotoshopt, sondern auch wissend und gebrochen. Lieber nimmt die Öffentlichkeit heute offenbar auch bei männlichen Idealbildern (wie bislang vor allem bei der Bewertung der weiblichen Physis üblich) einen glatt gerührten Einheitsbrei in Kauf, als Individualität zuzulassen, Spannungen, Makel, oder gar: Verfall.

Die an die Wände gedruckten Zitate der Fotografen wirken da fast beschämend, so deutlich zeigen sie den Blickwinkel, unter dem die Aufnahmen geschossen wurden. Sie belegen jene Forderungen, die die Gesellschaft an ihre buchstäblichen „Idealtypen“ stellt und die die Bildermacher deshalb künstlerisch oder kommerziell bedienen, mit Begriffen.

Liz Collins etwa schreibt: „Der moderne Mann kann sich selbst exponieren, beschützt aber die, die ihm nahestehen, und ist im Zweifelsfall in der Lage, sich in der Welt zu behaupten.“ Und sein Gegenstück, die moderne Frau – etwa so schutzsuchend? Oder Peggy Sirota: „Für mich kommt Schönheit von innen, und wenn ein Mann es zulässt, dass seine Persönlichkeit ausdrucksstark und wahrhaftig ist, finde ich das immer hinreißend.“

Doch gerade Wahrhaftigkeit scheint mit den allwissenden Denkern und ausstaffierten Dressmen am wenigsten zu tun zu haben. In Bild und Wort sieht sich der Betrachter gelungen auf erschreckend reaktionäre Vorstellungen von Männlichkeit zurückgeworfen – und wird sie möglicherweise neu überdenken.

Nicht nur das Wesen der Porträtierten also macht die Schau in den Deichtorhallen sichtbar, sondern sogar noch mehr: Sie zeichnet ein eindrucksvolles Sittengemälde einer von Leistungswahn, emotionaler Verunsicherung und dem recht hilflosen Bemühen um Tiefe geprägten Zeit.

HANNA SCHMELLER

■ Traummänner. Starfotografen zeigen ihre Vision vom Ideal. Bis zum 22. Mai in den Deichtorhallen Hamburg. Der Katalog dazu ist im DuMont Verlag erschienen, hrsg. v. Nadine Barth, Köln 2011, 224 Seiten, 49,99 Euro