ortstermin: hellmuth karasek liest sich selbst: Herr K. macht einen Witz
In der Reihe „Ortstermin“ besuchen Autoren der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms
Niemand sucht sich sein Publikum aus, einerseits. Andererseits ist es doch so, dass einem Autor sein Publikum nicht zufällig widerfährt. Zur Veranstaltung „Hellmuth Karasek liest seine Hamburger Glossen“ kamen am Montagabend etwa hundert Zuhörer. Darunter vermutlich viele Leser des Hamburger Abendblatts, in dem Karaseks Glossen jeden Montag erscheinen. Die bei der Lesung versammelten Abendblatt-Abojahre zumindest dürften, vorsichtig geschätzt, bei etwa 5.000 gelegen haben, und damit sind die Einsprengsel jüngerer Besucher – hier drei Freundinnen, dort ein Pärchen – schon eingerechnet.
Damit das jetzt nicht falsch rüberkommt: Hellmuth Karasek ist ein durch und durch sympathischer Mensch. Das war schon beim „Literarischen Quartett“ so, wo er den Gegenpart zum Literatur-Scharfrichter Marcel Reich-Ranicki und zur kühl analysierenden Sigrid Löffler gab. Karasek war gnädiger, er ließ gerne auch mal das Herz sprechen, und wenn das Argument dabei auf der Strecke blieb, machte ihm das nichts aus.
Bei der Lesung in der Hamburger Freien Akademie der Künste tapste er etwas verloren auf die Bühne und kramte umständlich in einem roten Stoffbeutel herum, in den ihm wahrscheinlich seine Frau die Manuskripte gesteckt hatte. Noch im Stehen begann er zu reden, und reden kann Hellmuth Karasek ja. Es ist ein Reden quasi ohne Punkt, nur mit Kommas, die Sätze folgen einander, ohne dass sie einander folgen müssten.
Genauso sind auch Karaseks „Glossen“, wie er sie selbst nennt: Sie fangen irgendwo an und hören irgendwo auf. „Das Aroma der KuK-Kultur“ sei bei Karasek unverkennbar, hatte der Begrüßungsredner von der Freien Akademie gesagt, weil Karasek ja in Brünn geboren ist. Dumm nur, dass die Glosse per se eine eher knappe Form ist, die logische Stringenz gut gebrauchen kann. Möglicherweise ist es so, dass Karasek gerade wegen seiner KuK-Weitschweifigkeit gar nicht der ideale Glossenschreiber ist. Nur dass ihm das niemand sagt.
Sein Publikum findet das selbstverständlich nicht. Die im Saal versammelten Best-Ager lauerten geradezu auf die Pointen, die sie vorauszuahnen schienen, vielleicht kannten sie die Glossen auch auswendig. Jedenfalls lachten sie bei Erreichen der nächsten Pointe wie aus der Pistole geschossen los. Und zwar bei jeder Pointe, egal wie alt sie sein mochte. Notfalls tat es da schon das „Liebe Neger“ von Altbundespräsident Lübcke.
Karasek verfüge über „die seltene Gabe des angeborenen Humors“, hatte der Begrüßungsredner gesagt, und irgendwie wurde man das Gefühl nicht los, dass Karasek das selbst auch glaubt. Dabei enthalten seine Texte wirklich schöne Beobachtungen aus der Welt der Speisewagen. Oder, besonders gut beobachtet, weil wohl mit einem gewissen Leidensdruck erlebt: aus dem Fernsehstudio beim „Literarischen Quartett“, wo eine digitale Leuchtschrift die Zeit anzeigt, über die Reich-Ranicki wacht wie ein eifersüchtiger Göttervater.
Der schreckliche Reich-Ranicki. Der Kellner aus dem ehemaligen Jugoslawien, der erklären muss, was ein Maishuhn ist. Das Herbstlaub, dass am Ende des letzten Jahrhunderts auf die Tennisplätze fällt. Nat King Cole und seine samtige Raucherstimme. Ein Glas Wein am Abend. Das ist die Welt des Hellmuth Karasek. Es ist eine behagliche, zurückgelehnte Welt, eine Welt, in der es sich wahrscheinlich gut alt werden lässt.
Insofern passte an diesem Abend alles zusammen. Nach der Lesung, das Publikum verlief sich schon, ging Karasek auf ein älteres Ehepaar zu, das ihn wohl vorher angesprochen hatte, und schenkte ihnen sein neuestes Buch: „Süßer Vogel Jugend oder Der Abend wirft längere Schatten.“ DANIEL WIESE
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