die taz vor fünfzehn jahren über den DM-Populismus von Oskar Lafontaine
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Oskar Lafontaine ist kein Freund der halben Sachen. Lavieren liegt ihm nicht, Polarisierung ist in seinen Augen allemal hilfreicher, als Konflikte zu verkleistern. Doch sein jüngster Anlauf zur Polarisierung ist gefährlich. Die Ablehnung der Maastrichter Verträge „aus ökonomischen Gründen“ könnte eine innenpolitische Konstellation schaffen, die die wichtigste außenpolitische Orientierung der Bundesrepublik unterläuft. Seit November 1991, als klar war, daß auf dem Euro-Gipfel die Einführung des Euro tatsächlich zur Abstimmung anstehen würde, heult der größte Teil der veröffentlichten Meinung über den angeblichen Verlust der D-Mark. Was Bild recht war, ist Augstein allemal billig, der seit dem Gipfel kaum eine Woche ausläßt, ohne dem heiligen deutschen DM- Gral nachzuweinen. Seit kurzem hat diese Publizistik ihren erkennbaren Niederschlag in den Meinungsumfragen gefunden. Europa scheint den wiedervereinigten Deutschen nicht mehr so sympathisch wie ehedem, und warum soll man auch für Portugal zahlen, wenn es den Brüdern und Schwestern östlich der Elbe so schlecht geht.

Die Frage ist nicht, ob Kritik an den Vereinbarungen von Maastricht zulässig ist oder nicht. Eine Währungsunion ohne politische Union birgt Risiken, über die man diskutieren muß. Das eklatante Demokratiedefizit in den europäischen Institutionen, die Alibifunktion des Europaparlaments sind Punkte, an denen die SPD Kohl verstärkt unter Druck setzen müßte. Doch im Gegensatz zu Engholms Kritik in der Sache setzt Lafontaines Sonthofen-Strategie auf billigen Populismus, um Kohl, egal wie, zu treffen. Eines der wenigen wahren Verdienste Kohls seit der Einheit besteht darin, den Deutsch-Nationalen in ihrer Ablehnung Europas nicht nachgegeben zu haben. Läßt die SPD nun zu, daß Lafontaine Arm in Arm mit den Gauweilers versucht, Kohl zu stürzen, verhelfen sie nur dem DM-Nationalismus zu einem fatalen Triumph.

Jürgen Gottschlich, taz 7. 3. 92