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Archiv-Artikel

Einblick (537)

Pia Lanzinger, Künstlerin

ZUR PERSON

■ Pia Lanzinger, geboren 1960 in München, lebt und arbeitet in Berlin. Ihr Schwerpunkt liegt auf kollaborativen Projekten im öffentlichen Raum, die den Versuch unternehmen, Bruchstellen und Ungereimtheiten wahrzunehmen und für kommunikative Experimente zu nutzen. Ihr Ziel dabei ist ein veränderter Blick auf die Bedingungen alltäglicher Existenz und die Freisetzung von Gestaltungsspielräumen, die regelmäßig übersehen werden. Ab Oktober wird Pia Lanzinger ihre Zeit in Westaustralien verbringen, wo sie die Bevölkerung der Stadt Geraldton dazu motiviert, Pate für jeweils ein Wort einer aussterbenden Aboriginal-Sprache zu werden.

taz: Welche Ausstellung in Berlin hat Sie/dich zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum? Pia Lanzinger: Die letzte Berlin Biennale hat bei mir wieder einmal den Eindruck erweckt, dass auch in Berlin die Kunst dahin gebracht werden soll, ihr kritisches Potenzial zu entschärfen und sich auf Distinktionsspiele zu beschränken. Die völlige Musealisierung und Vermarktung der Kunst wäre für mich auch das Ende der Hoffnungen, derentwegen ich mich einmal dafür entschieden habe, Künstlerin zu werden. Und dazu gehört vor allem eine öffentliche Wirksamkeit, die über Sammlerkreise und KunsttouristInnen hinausgeht. Welches Konzert oder welchen Klub können Sie/kannst du empfehlen? Vor Kurzem gab es im Neuköllner Kunstverein das Konzert einer Gruppe von bildenden KünstlerInnen, die eingeladen worden waren, die verschollene und wiederentdeckte Komposition eines fiktiven Musikgenies aufzuführen. Gerade im Dilettantischen hatte das Experiment Qualitäten, weil sich ohne Showeffekte oder Personenkult eine gemeinsame Begeisterung entfalten konnte. Es machte großen Spaß, in den teilweise schrillen Dissonanzen neue Klangräume zu entdecken und sich im rhythmischen Lärm von der Energie der Gruppe tragen zu lassen. Ansonsten gefallen mir immer noch die Lieder von Andreas Dorau; so begleitet mich „Das Telefon sagt Du“ als Phone-Jingle durch den Tag. Welche Zeitung/welches Magazin und welches Buch begleitet Sie/dich durch den Alltag? David Harveys Buch „Rebellische Städte“ kam mir gerade sehr gelegen, da es viele der Themen und Zusammenhänge behandelt, die für mein Gentrifizierungsspiel „Würfeln um Berlin“ von Bedeutung sind. Mein Ansatzpunkt für das Spiel, das in den kommenden Wochen im öffentlichen Raum Berlins als eine Art überdimensionales Brettspiel auf urbanen Plätzen aufgeführt wird, sind die zunehmenden Probleme von StadtbewohnerInnen, die bezahlbare Wohnungen brauchen. Harveys Buch setzt diese Probleme zu globalen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen ins Verhältnis und überlegt sehr genau, welche Lösungsmöglichkeiten denkbar sind. Vor allem geht es darum, das Recht auf Stadt als allgemeine Forderung ernst zu nehmen. Welcher Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht Ihnen/dir am meisten Freude? Das Tempelhofer Feld macht mir noch mehr Freude, seitdem der Volksentscheid zugunsten „100% Tempelhof“ erfolgreich war. Damit haben die BerlinerInnen in großer Deutlichkeit bewiesen, dass sie nicht auf alle politischen Zusagen und PR-Kampagnen hereinfallen, die letztlich auf eine Stadtplanung für Investoren hinauslaufen. Die breite Mehrheit derer, die das Leben in der Stadt gestalten, wird doch dabei ignoriert – zumindest so lange, wie wir uns nicht gemeinsam zur Wehr setzen. Ich finde, das ist ein großartiger Erfolg, und macht Mut, sich auch in Zukunft einzumischen.