Das Verschwinden der Raucher

In der Debatte um Rauchverbote und Nichtraucherschutz werden die Raucher an den Rand gedrängt, diffamiert und kriminalisiert. Das verträgt sich schlecht mit den Grundsätzen einer pluralen Gesellschaft

Wer eine tolerante Haltung zum Rauchen vertritt, gilt der Nichtraucherlobby als krank oder gekauft und muss daher nicht ernst genommen werden

VON DAVID FISCHER-KERLI

„Derzeit ist es nicht Ziel, das Rauchen in Wohnungen generell zu verbieten“, heißt es auf den Seiten von „Pro Rauchfrei e. V. – Lobby der Nichtraucher“. Derzeit. Der „Nichtraucherschutz in Privatwohnungen“ bleibt gleichwohl ein Anliegen: Tabakrauch von Nachbarn könnte über Treppenflure und durch Fenster eindringen. Absurd? Überzogen? Früher hätte man auch nicht geglaubt, dass sich ein Bußgeld von bis zu 1.000 Euro (je „nach der Schwere der Tat“) für das Rauchen durchsetzen ließe, heute ist es Wirklichkeit. Selbst vielen Nichtrauchern wird es zu viel.

Besinnen wir uns auf das Problem: Nichtraucher fühlen sich durch Tabakrauch gestört und in ihrer Gesundheit bedroht, sie sollen stärker geschützt werden. Das sehen auch die meisten Raucher ein. Im Prinzip müsste es möglich sein, Regelungen zu finden, die den Interessen beider Gruppen Rechnung tragen und mit denen beide leben können. Bei einer solchen Interessenaushandlung würde man womöglich bei Raucherzimmern in öffentlichen Gebäuden und in der Gastronomie beim spanisch-niedersächsischen Modell der Trennung von Raucher- und Nichtraucherlokalen landen; letzteres ließe sich noch mit staatlicher Subventionierung oder weiteren Vorteilen für Nichtraucherlokale anreichern, um dem Markt auf die Sprünge zu helfen.

Klingt akzeptabel? Zumindest als Diskussionsgrundlage? Nicht für „Pro Rauchfrei“, nicht für die „Nichtraucher-Initiative Deutschland“: Raucherlokale zu erlauben, „legalisiert die Körperverletzung mit Todesfolge“. Wer im Online-Gästebuch der niedersächsischen Landesregierung den Wulff’schen Vorschlag verteidigt („Der Staat soll sich nicht in alles einmischen“), wird sofort als Undercover-Tabaklobbyist verdächtigt, und sei er ansonsten noch so gegen das Rauchen: „Dieser Beitrag stammt niemals von einem Nichtraucher, denn kein Nichtraucher ist heute noch so dumm und fordert tödlichen Passivrauch in Gaststätten“; der Eintrag sei daher „strafrechtlich problematisch“ und überhaupt durch den Webmaster zu löschen, denn er „zitiert sämtliche Argumente des VdC (Verband der Cigarettenindustrie)“.

Nun wird man zu fast jedem beliebigen Standpunkt Krawallmacher im Internet finden können. Dennoch lohnt ein Blick auf die verschiedenen Strategien, Vertreter von (auch nur gemäßigten) Pro-Raucher-Argumenten zu diffamieren. Die Unterstellung, bestochen worden zu sein, ist dabei nur die offensichtlichste. Die weltweite Tabaklobby hat sich bei ihren Versuchen, die Gefahren des Rauchens zu verharmlosen, wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Der Verdacht, Andersdenkende seien Büttel des VdC, erfolgt allerdings mittlerweile reflexhaft. Auch wer wie Richard Herzinger in der Welt den „Verdacht, von der Tabakindustrie manipuliert zu sein“, selbst zum Thema macht, ist nicht vor dem VdC-Reflex gefeit: „Wer die WELT Redaktion sponsort (…) kann ein Blinder sehen. (…) Offensichtlich schreibt ihr Autor nur dann, wenn der VdC sich großzügig zeigt“. Herzinger müsste in diesem Fall ein sehr reicher Mann sein.

Auch die Strategie der Marginalisierung („Ich verachte Ihresgleichen, habe bestenfalls herablassendes Mitleid mit einem armen Schwein, wie Sie es sind. Wer raucht denn heute noch: Jugendliche und die Unterschicht!“) ist relativ simpel gestrickt, wird aber unappetitlich, wenn bekannte Techniken der Entmenschlichung hinzukommen. Von Peter Struck heißt es im „Pro Rauchfrei“-Forum: „Als bekanntes Schlaganfallopfer durch Nikotinabusus scheint sein Verstand jetzt restlos im Tabaknebel versunken zu sein. Der Mann sollte sich rar machen, denn sein schlechter Geruch wirkt sogar schon, wenn er nur bildlich mit seiner Sterbehilfe im Mund in Erscheinung tritt.“ (Struck hatte unter anderem angemahnt: „Was die Höhe eines Bußgeldes angeht, sollten wir nicht überreagieren.“)

Die Charakterisierung Strucks als „suchtkranker Pfeifenkopf der Nation“ verweist auf die verbreitete Strategie der Pathologisierung: Die Meinung von Rauchern ist nicht autonom, sondern Ausdruck einer durch Abhängigkeit verminderten Zurechnungsfähigkeit. „Mit Suchtkranken zu diskutieren lohnt sich eigentlich nicht – die haben eine verzerrte Wunschwahrnehmung – also verschwendet keine Zeit.“

Ähnlich umfassend ist auch die letzte Strategie: moralische Diskreditierung und Kriminalisierung. Wer in der Öffentlichkeit raucht, begeht alle möglichen Verbrechen von der Körperverletzung bis zum Mord; zum „Tabakholocaust“ ist es nur noch ein kleiner Schritt. Toleranzargumente für das Rauchen haben es da schwer. Ein taz-Leser: „Anderen Abweichlern wie Dieben, Schlägern oder Kindesmissbrauchern habt ihr bislang – zum Glück – keinen Raum zur Selbstbeweinung gegeben, aber bei Nikotinabhängigen ist das wohl anders. (…) Ihr solltet daran denken, dass es Grenzen gibt, in denen ihr sozialschädigendes Verhalten unterstützen könnt.“

Für alle diese Strategien gilt: Sie entwerten sämtliche Argumente der Gegenseite von vorneherein, weil der sie Vortragende als krank, gekauft usw. gilt, kurz: aus verschiedenen Gründen nicht ernst genommen werden muss. Hier fehlen offenkundig die elementaren Voraussetzungen für einen durch argumentativen Austausch vermittelten Interessenausgleich. Dieser würde voraussetzen, dass die beteiligten Parteien ihre gegenseitige persönliche Integrität achten und einander als prinzipiell gleichwertige Diskussionspartner respektieren. In der Entwertung des anderen als Person ist dagegen bereits der Regelungsmechanismus des Verbotes angelegt.

Diese Strukturierung der Diskussion findet sich auch in der medienöffentlichen Auseinandersetzung wieder. Die Nichtberücksichtigung von Rauchern als Personen mit legitimen Interessen hat hier allerdings häufig eine etwas andere Nuance: Der Raucher wird weniger diffamiert, als dass er erst gar nicht in Erscheinung tritt; übrig bleibt alleine der Rauch, den er erzeugt – als ob der „Qualm“ aus dem Nichts käme. In jedem Fall verschwindet der Raucher als ernstzunehmende Person aus dem Diskurs, er bleibt bestenfalls als Feindbild. An einen Kompromiss, einen Ausgleich ist so nicht zu denken. Im Ergebnis hieße das: Raucherzimmer (Zimmer für Raucher!) sind überflüssig, „rauchfrei“ hat alles zu sein.

Angesichts der herrschenden Meinung in der Tabakfrage liegt die Denunzierung von Rauchern als „sozialschädigende Abweichler“ nicht besonders fern. Die Tabaklobby hat – zu Recht – an politischem Einfluss verloren, stattdessen prägt der Gesundheitsdiskurs die Auseinandersetzung. Den Ton gibt hier seit längerem das Deutsche Krebsforschungszentrum vor, dessen Verquickung von wissenschaftlicher Forschung und aggressiver Lobbyarbeit mitunter irritiert. Beim Thema Passivrauchen lautet dabei die Parole: „Auch kleinste Mengen sind zu viel.“ Das schafft die Legitimationsgrundlage einer dogmatischen Haltung: Es geht ums Prinzip; anderenorts heißt so etwas gerne „ideologisch“. Aber hat eine solche Haltung nicht ihre Berechtigung, wenn es um den „im Grundgesetz verankerten Schutz des geborenen und ungeborenen Lebens“ geht? Gilt denn nicht das Argument, das „Pro Rauchfrei“ gegen Raucherlokale in Stellung bringt: „Der Gesundheitsschutz vor dem giftigen Passivrauch ist nicht verhandelbar“?

Die Lobbyarbeit des DKFZ verdeckt, dass es bei der zugrundeliegenden wissenschaftlichen Analyse stets um Risiken geht. Der Schutz vor den Gesundheitsrisiken, die der moderne Lebensstil mit sich bringt, ist aber immer schon höchst verhandelbar gewesen. Auch das akzeptierte „Restrisiko“ beim Betrieb von Atomkraftwerken besteht in der Vernichtung menschlichen Lebens. Das Prinzip „Kleinste Mengen sind zu viel“ stellt einen Fremdkörper inmitten einer Regelungslandschaft dar, die ansonsten auf die Festlegung von Grenzwerten setzt, vom Schadstoffgehalt der Luft über den Anteil gentechnisch veränderten Materials in der Nahrung bis zur Belastung von Produkten mit krebserregenden Nitrosaminen. Dass ausgerechnet dort kein Pardon gegeben wird, wo es nicht um industrielle Produktion, sondern um das Verhalten einzelner (genauer: einer Minderheit) geht, hinterlässt nicht nur bei Rauchern ein schales Gefühl.

Dennoch: Das Ziel des Nichtraucherschutzes würden auch die allermeisten Raucher unterschreiben, wenn man sie nur fragte. Aber eben nicht auf dem Wege von Regelungen, die die Maximalforderung „Rauchfrei!“ über alles stellen, selbst an Orten, die ein Nichtraucher ohne Einbußen meiden kann. Dazu ist die Diskussion aber schon zu sehr im Prinzipiellen angelangt. Es verwundert daher kaum, wenn nicht nur über den Kopf der Raucher hinweg entschieden wird, sondern auch für die Raucher gleich mit. Der Schutz Dritter wird zunehmend als Hebel benutzt, um direkt auf die Präferenzen der Raucher zu zielen. Wie sagt doch das DKFZ? „Eine rauchfreie Umgebung ist der beste Weg, die Zahl der Raucher zu vermindern.“

Das Verschwinden der Raucher aus dem Diskurs führt derzeit zum Verschwinden der Raucher aus der Öffentlichkeit, das Verschwinden der Raucher insgesamt bleibt das Endziel. Sicher – Rauchen ist „unvernünftig“, weil ungesund. Rauchen alleine auf „Gift“ und „Sucht“ zu reduzieren, funktioniert aber nur unter Vernachlässigung der Sicht der Raucher selbst und taugt daher nicht zu einer allgemeinverbindlichen Beurteilung. Interessen zu ignorieren, weil sie aus der Perspektive eines Lebensstils nichts wert sind, verträgt sich schlecht mit einer pluralen Gesellschaft, die auf der Toleranz unterschiedlichster Lebensentwürfe basiert. Auf diese Weise entsteht durch die Diskussion selbst, genauer: durch die Art, wie sie geführt wird, ein Interesse von allgemeiner Bedeutung, das sich mit dem Wert des Gesundheitsschutzes jederzeit messen kann: der Anspruch, als Person respektiert und vor Bevormundung geschützt zu werden, das Recht auf Genuss – und auf private Unvernunft.