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Archiv-Artikel

Darf man Wespen töten?

STICH Sie schwirren, sie nerven, sie essen mit. Am Kuchen, am Fleisch, am Eis. Wir schlagen zu und meinen, es sei Notwehr. Oder denken ans Karma

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JA

Gert Wurzinger, 61, ist Facharzt für Lungenkrankheiten und Tauchmedizin in Graz

Die Vernichtung von Wespen ist für mich keine Frage der Ethik oder gar ein Thema, das mittels Gesetzen geregelt werden sollte, sondern eine Frage der Effektivität zum Schutz vor Stichen. Bei der Verletzung oder Tötung von Wespen werden Pheromone freigesetzt, die weitere Wespen anlocken und in aggressive Stimmung versetzen. Es ist effektiver, Nahrungsmittel bedeckt zu halten und, falls sich die Wespen dennoch nicht abhalten lassen, Wespenfallen aufzustellen. Sowohl diese als auch die Entfernung von Wespennestern sind in Anbetracht der Schäden, die sie an Menschen verursachen können – allergische Beschwerden bis hin zu Todesfällen – ethisch vertretbar. Zudem sei daran erinnert, dass eine Hyposensibilisierungsbehandlung nicht nur vor allergischen Nebenwirkungen schützt, sondern auch die Lebensqualität durch Beseitigung der Angst vor Stichen verbessert.

Christoph Kehlbach, 37, Jurist und Journalist, arbeitet in der Rechtsredaktion der ARD

Rechtlich gesehen ist das Töten von Wespen zulässig, aber – typische Juristenantwort – nur in bestimmten Fällen: Strafrechtlich werden Tiere wie Sachen behandelt, es gibt also keinen „Mord“ an einer Wespe. Eine Sachbeschädigung liegt aber auch nicht vor, da Wespen niemandem gehören, im Gegensatz zu den Bienen eines Imkers. Das Tierschutzgesetz kommt den Wespen nicht zu Hilfe, denn das verbietet nur das Töten von Wirbeltieren. Pech für die Wespe: Sie ist ein Insekt – wirbellos. Letzte denkbare Rettung für sie: das Naturschutzgesetz. Dort heißt es: „Es ist verboten, wild lebende Tiere ohne vernünftigen Grund zu töten.“ Carte blanche für die Wespe? Nein! Ein „vernünftiger Grund“ könnte zum Beispiel der Selbstschutz vor Stichen sein. Ich sage: Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen, und der Mensch nicht der Wespe. Vor dem tödlichen Schlag sollte man aber noch einen schnellen Blick ins Tierlexikon werfen. Denn neben allen heimischen Bienen und Hummeln stehen auch zwei Wespenarten – die Knopfhornwespe und die Kreiselwespe – unter Artenschutz. Sie dürfen nicht getötet werden, alle anderen Arten leben gefährlich.

Klaus Nothnagel, 59, ist taz-Leser und hat die Streitfrage per E-Mail kommentiert

Die Wespen. Sechs Tage hatte Gott geschuftet, die Erdbeere und die Rose geschöpft, die Gurke und das Rosmarinkraut. Samstagabend aber spürte Gott, dass die Inspiration sich verdünnte. Er hudelte ein paar Schlagersängerinnen hin, rutschte beim Schöpfen mehrmals aus – Dschihadisten, Zeugen Jehovas –, kippte ein paar Bier und brachte am nächsten Morgen alles durcheinander: Das gelb-dunkelbraune Flugkostüm der Biene, den Stachel der Wildrose, das Brummen des Braunbären. Gott schuf die Wespe. Er spürte, dass ihm etwas Grässliches unterlaufen war, und murmelte: „Jeder Mann, jede Frau, wer immer eine Wespe sieht und sie breit und totschlägt – gebenedeit sei er und herzlich bedankt sei sie.“ Darum: Wespen töten. Jederzeit.

NEIN

Melanie von Orlow, 43, ist Autorin, Imkerin und Wespenexpertin des Nabu

Das Erschlagen einer Wespe ist weder sinnvoll noch zielführend. Es erfüllt damit nicht das Kriterium des „vernünftigen“ Grundes, den es laut Bundesnaturschutzgesetz für das Töten eines Tieres bedarf. Wer glaubt, man könne danach in Ruhe weiterschlemmen, verkennt die Tatsache, dass es einem Wespenvolk mit bis zu 10.000 Bewohnern herzlich egal ist, ob da nun eine fehlt. Es wird weiter den Tisch belagern, um zu nehmen, was es will: Zucker und Eiweiß. Das nervöse Umfliegen des Kopfes ist entgegen landläufiger Meinung kein Warnzeichen: Wespen sehen erst bei höherer Fluggeschwindigkeit scharf. Erst wer nun um sich schlägt oder pustet, offenbart sich der Wespe gegenüber als Lebewesen, gegen das es sich zu verteidigen gilt. Anstatt die teilweise irrationale Angst vor potenziell stechenden Insekten an die nächste Generation weiterzugeben, sollte man lieber Speisen abdecken, Wespen mit der Speisekarte sanft beiseiteschieben oder einfach mal statt Fleisch und Kuchen einen Blattsalat bestellen. Den lassen Wespen – wie viele Menschen – lieber links liegen.

Ding Ding, 55, ist Geschäftsführer der Shaolin Tempel Deutschland GmbH

Als Buddhist darf man keine anderen Lebewesen töten. Dazu gehören auch Wespen. Nicht töten ist das erste buddhistische Gebot. Man darf nicht einmal daran denken, sie zu töten. Aus Barmherzigkeit sollte man Mitleid für alle Lebewesen haben, auch für solche unangenehmen Insekten. Jedes Lebewesen hat ein Recht auf Leben, genau wie wir Menschen. Auch wenn wir stärker sind, dürfen wir das Leben der Schwächeren nicht willkürlich wegnehmen. Denn wer tötet, schafft negatives Karma für sich. Wer im Leben immer mehr solches Karma sammelt, wird schließlich selbst unter negativen Folgen leiden. So sollten wir auch Wespen schonend behandeln, auch wenn wir uns belästigt fühlen. Wenn wir uns gute Gedanken machen und innere Ruhe bewahren, dann können wir die Störenfriede auch leicht loswerden.

Eva Zahnen, 30, aus Mönchengladbach, stachen mal über hundert Wespen

Als ich fünf Jahre alt war, bin ich in ein Wespennest im Wald getreten. Wir waren mit der Familie im Urlaub in den Bergen. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich über hundert Stiche am ganzen Körper. Die Wespen waren überall: in meinen Haaren, unter meiner Kleidung, in meinen Schuhen. Meine Mutter rieb meine Haut damals mit Zitronen ein, das sollte im ersten Moment helfen; dann kam ich ins Krankenhaus. Zum Glück hatte ich keine Allergie, denn dann wäre diese Situation lebensgefährlich gewesen, sagte man mir. Als ich später noch eine Wespe in meinem Schuh fand, sagte ich meiner Mutter, sie solle sie auf keinen Fall umbringen. Auch heute würde ich niemals eine Wespe oder irgendein anderes Tier töten. Als ich vor Kurzem in Italien unterwegs war, habe ich auch diese aggressiven roten Mücken leben lassen. Nur einmal, das war im Halbschlaf, habe ich zwei von ihnen erschlagen.