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Archiv-Artikel

Antiabstiegskollektiv

Mit neuem Sportdirektor und altem Kampfgeist glaubt Schlusslicht Mönchengladbach an den Klassenerhalt

MÖNCHENGLADBACH taz ■ Christian Ziege fand schnell Gefallen an seinem neuen Arbeitsplatz. Aufregend sei es gewesen, „aber auch sehr schön“, meinte der neue Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach. Zum Einstand agierte der ehemalige Profi und Europameister von 1996 wesentlich emotionaler als zu seinen aktiven Zeiten. Den 3:1-Erfolg über Hertha BSC verfolgte Ziege von der Gladbacher Reservebank. Er war aber nur selten auf dem Sitz zu halten, feuerte stattdessen leidenschaftlich die Spieler an, gestikulierte, applaudierte und klatschte ab.

Sogar als Wasserträger, der den durstigen Profis die Getränkeflaschen zuwarf, war sich der 35-Jährige nicht zu schade. „Alles was ich als Spieler erleben durfte, empfinde ich jetzt ebenso intensiv auf der Bank“, sagte Ziege und strahlte dabei ebenso wie die meisten der Zuschauer, bei denen verschüttete Glückgefühle geweckt wurden. Erstmals seit dem 14. Oktober gelang den Gladbachern wieder ein Heimsieg. Tabellen-Schlusslicht sind die Borussen zwar immer noch, doch plötzlich ist die Hoffnung, den Bundesligaabstieg zu vermeiden wieder fassbar. Es ist, als hätte jemand in einem langen finsteren Flur das Licht angeknipst.

Welchen Anteil nun der Ziege-Effekt hatte, mochte niemand ausdrücken. „Es geht nur um Borussia, jeder im Team hatte seinen kleinen Anteil am Erfolg. Auch Christian Ziege“, meinte Trainer Jos Luhukay. Erst zwei Tage zuvor löste Ziege, der bis dahin Borussias B-Junioren trainiert hatte, seinen in die Kritik geratenen Vorgänger Peter Pander ab. Dass er im Sportmanagement völlig unerfahren ist, war für den Vereinspräsidenten Rolf Königs kein Ausschlussargument. Viel mehr setzt Königs kurzfristig auf Zieges großen Erfahrungsschatz als Profi, mit dem er den Klub langfristig nach oben führen soll. „Ich hatte nach den ersten Gesprächen mit ihm direkt ein gutes Gefühl“, sagt Luhukay, der erst sechs Wochen zuvor den Cheftrainerposten übernahm und den Gladbacher Radikalschnitt eröffnete.

Reden sei zunächst die primäre Aufgabe des Hoffnungsträgers gewesen. „Ich habe viel mit dem Trainer gesprochen, aber auch vor der Mannschaft und mit einzelnen Spielern“, erzählt Ziege, dem ein positives Bild vermittelt worden sei. „Motivation und Psyche stimmen. Die Mannschaft kämpft mit Leidenschaft, so vermeiden wir den Abstieg“, meint der Sportdirektor, der sich ebenso wie alle anderen Vereinsangestellten ein Trikot mit der Aufschrift „Ein Team“ überstreifte. Es war eine Idee der Geschäftsstellen-Mitarbeiter, diese Trikots, für die neben den sonst edel gekleideten Hostessen auch Boss Königs seinen Nadelstreifenanzug ablegte, zu verteilen.

Als Einheit präsentierte sich die Mannschaft auch gegen Hertha und ließ ihren Aufwärtstrend im Ergebnis niederschlagen. Gegen Werder Bremen hatte sich Gladbach bereits ein 2:2 erarbeitet und vor einer Woche nur unglücklich in Wolfsburg 0:1 verloren. Nun stellten die Berliner Gäste das weitaus kombinationssicherere Team, doch die Borussia verdient sich den Sieg durch ein beherztes Auftreten. Ausgerechnet der ehemalige Berliner Nando Rafael, der von Heynckes verschmäht wurde, war mit zwei Treffern erfolgreich (32., 69.), ehe Michael Delura (86.) beim zwischenzeitlichen Ausgleich durch Christian Gimenez (56.) den Endstand erzielte. „Rafael schmeißt sich über 90 Minuten rein. Ich fand es schade, dass er früher so selten gespielt hat“, sagte Ziege, der sich vor dem Spiel und in der Pause nur kurz in der Kabine blicken ließ: „Das ist die Arbeit vom Jos.“ Luhukay gelang es, aus einer verunsicherten Mannschaft ein Team zu formen. „Wenn ich sehe, wie sich die Spieler präsentieren, mache ich mir keine Sorgen“, sagte der Niederländer, der gemeinsam mit Ziege etwas “für die Zukunft aufbauen will.“

Die Gegenwart heißt allerdings weiter Abstiegskampf. „Es gibt in der Bundesliga keine Mannschaft, die wirklich konstant spielt. Deshalb haben wir die Möglichkeit, jeden zu schlagen und uns zu retten“, sagte Ziege, der die Kaderzusammenstellung für die nächste Saison in diesen Tagen zweigleisig angehen muss. Aufregend wird das bestimmt auch. ROLAND LEROI